Kate Tempest gilt als wichtige politische Stimme in der britischen Musikszene: "More empathy, less greed, more respect."

Foto: Universal

Die britische Rapperin, Spoken-Word-Künstlerin und Autorin Kate Tempest kann fluchen wie ein Bierkutscher und von der Kanzel herab predigen, dass einem auf der Kirchenbank der Arsch ganz heiß vom Höllenfeuer wird. Außerdem ist die 33-jährige Frau aus Südlondon preisgekrönte und auch ins Deutsche übersetzte Lyrikerin und Romanautorin (Worauf du dich verlassen kannst). Sie hat zudem Theaterstücke geschrieben, hält Vorträge zum Thema "Zeit für ein Gedicht" an der London University oder in Yale, arbeitete für die Royal Shakespeare Company und tourte mit wortmächtigen Kollegen wie Billy Bragg oder Saul Williams.

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Die verschiedenen künstlerischen Formate werden meist von einem handverlesenen Personal aus dem privaten Umfeld bevölkert, das Tempest aus ihren musikalischen Wortkaskaden entwickelt, herauf von ihrem Debüt Everybody Down von 2014 bis zum Durchbruch mit dem Brexit-Album Let Them Eat Chaos und der politischen Bestandsaufnahme Europe Is Lost von 2016. Unter dem guten alten Motto "Das Private ist auch das Politische" geht da zu harten Elektrobeats und dem furiosen Gezeter von Kate Tempest ein Land vor die Hunde – und wir alle gehen mit.

Möglicherweise kennt die deutsche Autorin Sibylle Berg dieses Dokument der Wut und des Zerfalls der (britischen) Zivilisation sehr gut. Ihr heuer erschienener Roman über ein Großbritannien schon weit jenseits der Krise, GRM: Brainfuck, mit seiner Handvoll Protagonisten entspricht dem Setting von Tempest sehr genau. Wenn die Hoffnung fehlt, muss Spiritualität rein. Nach Dauertourneen und einem damit verbundenen selbstzerstörerischen Lebenswandel musste Tempest wieder zu sich kommen.

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Das neue Album The Book Of Traps And Lessons (Universal) erzählt einmal mehr von der Erfahrung des Zusammenbruchs. Das Gezeter ist nun allerdings wieder einem (beinahe milden) Predigen, nein, Beschwören gewichen. Das Land geht zwar immer noch unter und Lug und Trug und das Schlechte und die Kriegstreiber und Gesellschaftsspalter ziehen alles in den Abgrund. Gegen alle Hoffnung setzt Tempest aber die eine Frage: "What can be done to stay human?" Die Antwort lautet: "A Mensch mecht i bleibn."

Produziert hat dieses intensive, ruhigere und beinahe beatlose Album übrigens Rick Rubin. Nach dem Rumms für die Beastie Boys und der Reduktion für Johnny Cash steht nun fast zärtliches Laptop-Rumoren auf dem Programm. Ein Album des Jahres. (Christian Schachinger, 3.7.2019)