DER STANDARD widmet sich über den Sommer in einer Serie Beispielen vitaler Impulse aus den Provinzen Österreichs und stellt diese vor- und zur Diskussion.

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Warum im Winter siedeln, wenn man das auch am bisher heißesten Tag des Jahres tun kann? Johanna Mark versucht die zum Umzug zusätzlichen Strapazen mit Humor zu nehmen. Es ist das letzte Juni wochenende, die Temperaturen klettern in Wien wieder auf hohe 30er-Werte, die 29-jährige Lehrerin packt Kartons und Kisten. Es geht von Wien nach Vorarlberg – nicht wie so oft in den Sommermonaten für ein paar Tage. Mark kehrt jener Stadt, in der sie fast elf Jahre gelebt hat, den Rücken.

Irgendwann geht es zurück

Es handelt sich dabei um eine recht typische Geschichte: Nach der Matura ziehen viele Vorarlberger nach Wien, eine Uni gibt es in der Heimat nicht. Sie studieren und bleiben auch nach dem Abschluss. Die Community ist eingeschworen. Dass Wien die größte Stadt Vorarlbergs sei, ist außerdem ein geflügeltes Wort. Und dennoch: Viele haben im Hinterkopf: Irgendwann geht es zurück, auch wenn in Wien alles gut läuft.

Rainer Beer an einem Ort, den er an Wien vermissen wird: der Kaffeefabrik bei der TU Wien.
Foto: Corn

So war das auch bei Rainer Beer. Der 36-Jährige kam 2004 nach Wien. Im ersten Semester Architektur an der TU Wien habe er sich oft gefragt, was er hier eigentlich mache, der Wiener Winter war seine Sache nicht. "Im Frühling sah die Welt schon anders aus, da hab ich mich in die Stadt verliebt."

Gründe für den Umzug aufs Land

Vierzehn Jahre später habe sich der mittlerweile fertig studierte Architekt aber wieder gefragt: "Verdammt, was mache ich eigentlich hier?" Er sei letzten Winter sehr viel in der Heimat auf Skitouren gewesen. "Da stand ich am Berg und habe auf einmal die Natur um mich herum richtig zu schätzen gelernt." Damit war die Sache für Beer klar. Ende des Sommers steht auch bei ihm Kisten packen an. Ein neuer Job in Bezau ist bereits gefunden.

Bei Kunstlehrerin Mark war ihr neuer Hund ausschlaggebend für den Umzug. "Ich wusste schon mit 19, dass es irgendwann zurückgeht. Konkrete Pläne hatte ich nie, bis ich Bluna aus Griechenland geholt habe." Der Vierbeiner tue sich in der Stadt schwer und habe sich beim ersten Besuch im Westen gleich in die dortige Natur verliebt. Und die Liebe kam dann auch bei Mark als Faktor dazu – ihr Freund lebt in Vorarlberg.

Ihr Hund Bluna war für Johanna Mark der ausschlaggebende Grund für den Umzug ins Ländle.
Foto: Privat

Der Umzug fällt aber weder Mark noch Beer leicht. An Wien schätzen sie das kulturelle Angebot, die vielen Cafés, Bars, die Anonymität und Freundschaften, die sie hier geschlossen haben. Und Kleinigkeiten: "Radfahren am Ring entlang. Es gibt für mich nichts Schöneres", sagt Beer. War um also all das aufgeben, um in die Provinz zu ziehen?

Diese Beschreibung für das Ländle hören Vorarlberger nicht gern. "Land wird automatisch mit Provinzialität in Verbindung gebracht", meint Herwig Bauer, "für Vorarlberg gilt das aber nicht."

Ländliche Urbanität statt Provinz

Bauer zog – nach sechzehn Jahren in Wien – 2011 zurück. Der Feldkircher leitet mit dem Poolbar-Festival eine der wichtigsten Kulturveranstaltungen des Landes. "Nur weil man in Vorarlberg wohnt, hat man ja nicht die Geisteshaltung in Wien liegenlassen. Wenn sich die richtigen Leute finden, dann gibt es hier mehr Urbanität als in so manchem Wiener Grätzel."

Umzüge zwischen der Hauptstadt und dem Ländle.
Grafik: STANDARD

Bauer zog um, weil er seine Kinder in der Natur aufwachsen sehen wollte, außerdem leben die Großeltern hier. Und sonst? "Die guten beruflichen Chancen sind sicher für viele ein Aspekt. Die Lebensqualität ist hoch, und das kulturelle Angebot entspricht nicht dem Provinzmiefklischee."

Dafür sorgt auch er selber: Heuer bewegt sich das Poolbar-Festival beispielsweise an ungewöhnliche Orte – vom leer stehenden Kuhstall am Bauernhof bis zum Schwurgerichtssaal oder einem ungenutzten Tunnel. Raum- und Stadtentwicklungsthemen sollen so diskutiert werden. "Wir haben gemerkt, dass diese diskursive Ebene immer mehr Menschen interessiert."

Herwig Bauer ist schon seit 2011 zurück in Vorarlberg – und bereut die Entscheidung nicht. Land sei nicht automatisch Provinz.
Foto: Eva Sutter

Bittet man die Rückkehrer, ihre Heimatverbundenheit zu begründen, spielen aber auch Werte eine Rolle. "Bei all dem Pragmatismus und dem wirtschaftlichen Denken, das man den Vorarlbergern ja gerne nachsagt, steht der Mensch dennoch im Vordergrund, finde ich", sagt Bauer. Das habe sich auch bei den Demonstrationen für eine menschlichere Flüchtlingspolitik während der letzten Monate gezeigt. "Da waren nicht nur Wollpulliträger, sondern auch Wirtschaftstreibende dabei."

Wien bleibt

Rainer Beer merkt den Unterschied zwischen Wien und dem Westen mitunter auf Baustellen, wo er beruflich unterwegs ist: "Wenn ich mich mit Bauarbeitern austausche, ist das etwas ganz anderes." Für Beer hat das auch damit zu tun, dass das Bewusstsein für Architektur beziehungsweise für Handwerk in seiner Heimat, dem Bregenzerwald, "ein ganz anderes" sei. Er freue sich deswegen nicht nur auf die Berge und die Natur, "sondern vor allem auf das Zwischenmenschliche."

Mark ist froh, dass sie nun endlich wieder am Bodensee wohnt. "Das war schon als Teenie mein Zufluchtsort." Und sollte die Sehnsucht nach Wien irgendwann zu groß werden, dann werde sie sich in einen Zug gen Osten setzen. Die erste Fahrt ist bereits geplant: Der 30er wird im August in Wien gefeiert. (Lara Hagen, 4.7.2019)