Die Sargassosee, das Meeresgebiet im Atlantik südlich von Florida, ist aus mehreren Gründen eine Besonderheit. Biologisch Interessierte kennen die Meeresregion vermutlich deshalb, weil Aale aus Europa und Nordamerika dort laichen. Einmalig ist das Meer auch deshalb, weil es an keine Landmasse grenzt wie alle anderen Meere, sondern an vier Meeresströmungen.
Außergewöhnlich ist auch die Namensgebung. Die Bezeichnung Sargassosee geht nämlich auf eine Gattung von Braunalgen zurück, die Sargassum genannt wird und südlich von Florida in großen Mengen frei flottiert. Diese sogenannten Golftange fielen schon Christopher Kolumbus auf, der auch als erster Europäer darüber berichtete.
Ökologisch betrachtet – und auf hoher See – stellen solche Sargassum-"Wälder" einen günstigen Lebensraum für kleine Krabben, Würmer und andere Meerestiere dar.
Anders ist es freilich, wenn die Golftange in Strandnähe geraten oder angespült werden. Dann schaden sie nicht nur der Tourismusbranche, sondern gefährden auch das Ökosystem massiv.
Geruch nach faulen Eiern
Der karibische Inselstaat Barbados rief deswegen im vergangenen Jahr einen Notstand aus, und auch Mexikos Strände sind immer häufiger von der Sargassumplage befallen, die auch olfaktorisch eine Herausforderung darstellt: Wenn die Golftange an Strände gespült werden und sich zersetzen, geben sie Schwefelwasserstoff mit dem typischen Geruch nach faulen Eiern frei. Für Personen mit Asthma kann das sogar gefährlich werden.
Wie nun Forscher im Fachmagazin "Science" rekonstruieren, hat im Jahr 2011 eine beispiellose Zunahme der Golftange begonnen. Ab diesem Jahr kamen sie auch an Orten vor, wo sie vorher unbekannt waren und bedeckten in den darauffolgenden Jahren immer größere Flächen. Der bisherige Rekord wurde im Vorjahr erreicht, wie das Team um Chuanmin Hu (University of South Florida) nach Analyse von Satellitenbildern ermittelte.
Schwer wie 200 Flugzeugträger
Die betroffene Region im vergangenen Sommer erstreckte sich auf 8.850 Kilometer vom Golf von Mexiko bis Westafrika. Die Masse des Braunalgenteppichs schätzen die Forscher auf 20 Millionen Tonnen, das entspricht dem Gewicht von 200 voll beladenen Flugzeugträgern.
Warum aber begann die Situation 2011 zu kippen? Die Forscher erklären das mit dem veränderten Nährstoffangebot für die Golftange, die zum einen im Winter auf den sogenannten Auftrieb angewiesen sind: dem Aufstieg von tief liegenden Wasserschichten vor der westafrikanischen Küste. Zum anderen kommen die Nährstoffe im Frühling und Sommer von der Amazonasmündung.
Rekorde könnten normal werden
Die Forscher um Erstautorin Mengqiu Wang vermuten deshalb, dass dieses Nährstoffangebot durch Abholzung und Düngemittel in Amazonien zuletzt entscheidend zugenommen haben dürfte, was zu dem explosionsartigen Wachstum führte. Das ist zwar noch eine Hypothese. Klar sei aber, so Studienleiter Chuanmin Hu, dass sich die chemische Zusammensetzung des Meeres verändert haben muss, damit das Blühen derart außer Kontrolle geraten konnte.
Entsprechend befürchten die Forscher, dass solche Rekordausdehnungen der Golftange in den nächsten Jahren zur neuen Normalität werden dürfen. (Klaus Taschwer, 5.7.2019)