Video Oner hat im Wien-Museum für das "Takeover" zwei Wände bemalt, die Street-Art-Künstlerin ist für ihre Tierfiguren bekannt.

Foto: Christoph Schleßmann/Wien Museum

Blick in die Schau im Obergeschoß des Wien-Museums. Im Erdgeschoß ist ein Skatepark eingerichtet.

Foto: Christoph Schleßmann/Wien Museum

Malr wollte die Museumstoiletten gestalten. Sie sind zu betreten, aber außer Betrieb.

Foto: Christoph Schleßmann/Wien Museum

Lym Moreno bei der Arbeit im Wien-Museum.

Foto: Rafael Bittermann/SAE Wien, Wien Museum

Die Wände sind von Paul Busk und Skero, den nach Arbeiten von Keith Haring aussehenden Boden hat Kryot gemacht.

Foto: Christoph Schleßmann/Wien Museum

Vier Monate lang arbeitete Street-Art-Künstlerin Chinagirl Tile an dem Keramikdinosaurier in der Ausstellung im Wien-Museum. Der Dino hat eine Botschaft: Frauen müssen sich in der Szene behaupten, auch wenn das oft so schwierig zu befolgen ist wie die Aufforderung "Bring your own dinosaur".

Foto:Kramar/kollektiv fischka

So eine große Ausstellung mit Fokus auf die Wiener Street-Art-Szene gab es noch nicht. Im Wien-Museum hat gerade Takeover eröffnet, 50 heimische Street-Artists haben die zwecks anstehenden Umbaus leeren Räume am Karlsplatz bepinselt und besprayt. Die Künstler hereinzuholen (bis 1. September) war für Kuratorin Christine Koblitz naheliegend, "weil diese Leute es gewohnt sind, aktiv ins Stadtbild einzugreifen und Räume zu verändern. Sie können mit leeren Wänden umgehen."

Die entstandenen Bilder sind vielfältig und reichen vom klassischen Namenszug über comichafte Szenen bis zu grafischen Mustern. Moiz lässt betörend schön eine Welle aus an arabische Kalligrafie erinnernden Streifen über eine Wand schwemmen. Mit der plötzlichen Institutionalisierung fühlten sich nicht alle wohl. Einige Künstler haben sogar den Kuratorinnen nicht ihre wirklichen Namen verraten. Anonymität ist in der Szene ein wichtiger Punkt. Malr hat sich indes aufs stille Örtchen verzogen und die Toiletten à la Bahnhofsklo verunstaltet. Spraydosen verstopfen die Pissoirs, eigenes Taggen ist erlaubt.

Tags heißen die Zeichen, die Sprayer im Stadtbild hinterlassen. Eine kulturgeschichtliche Aufarbeitung des Themas ging sich für die Schau leider nicht aus.

Dafür gibt eine Fotoausstellung breiteren Überblick über die Szene. Stefan Wogrin dokumentiert auf der Webseite Spraycity, was an Wiens Wänden entsteht und oft schnell verschwindet, wenn illegal besprayte Flächen gereinigt und auf legalen Wänden Bilder übermalt werden. Am besonders beliebten Donaukanal könne das binnen Stunden geschehen. Denn die Szene boomt, wobei Wogrin feststellt, dass die figürliche Street-Art noch besser angenommen wird als das klassische Graffiti mit seinen kunstvollen Schriftzügen.

Der Denkmalschutz wird übrigens nicht verletzt. Die wenigen tatsächlich geschützten Treppen und Fensterbretter des Haerdtl-Baus wurden eingehaust.

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Wie entwickelt sich die heimische Szene?

Es hat sich in der Wiener Szene in den letzten 15 Jahren sehr viel verändert. Damals gab es noch viel mehr Leerstand und Brachen, die lange ungenutzt blieben, wo man einfach hingehen konnte. Das war ein Spielplatz für Experimente.

Auch soziale Netzwerke beeinflussen die Szene. Man kann heute viel mehr recherchieren. Als ich 1996 mein erstes Graffitimagazin in der Hand hatte, gab es das nicht in Österreich zu kaufen. Man hat sich also viel mehr mit dem beschäftigt, was in der eigenen Stadt stattfand, und sich mit den paar Touristen ausgetauscht, die herkamen. Weil man heute viel leichter aufsaugen kann, was sich international tut, ändern sich auch Stile.

Früher hat man davon gesprochen, dass Wien einen eigenen Stil hat, genauso wie Berlin oder Zürich. Auch aufgrund der Topografie wurde dort unterschiedlich gearbeitet: In Berlin konnte man wegen der Flachdächer fast überall rauf, Zürich ist verschachtelt, da gab es viele Graffiti an Fußwegen, wo die Polizei den Sprayern nicht so schnell nachkam, in Wien war der Donaukanal prägend. Daraus ist mit Ausnahmen ein Einheitsbrei geworden. Man ist in einer Blase gefangen, und der zu entkommen ist schwierig. Schade finde ich, dass, was man in Wien auf der Straße findet, unpolitisch geworden ist. Positiv ist, dass die Stadt legale Wände bereitstellt, das ist selten.

Paul Busk lebt in Wien und betreibt Cmod Citymodification.

Foto: Amela Ristic

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Gegeneinander oder miteinander?

Vernetzung ist wichtig, aber noch wichtiger ist, dass man miteinander spielt und nicht einander das Hackl hineinhaut. Das momentan schwierige Klima in Wien hat damit zu tun, ob es in der Szene gerade Helden gibt, die sich dadurch profilieren, dass sie über alles drüberfahren. Wenn dominante Figuren so ticken und Einzelkämpfer sind, setzt sich das fort. Es gibt Wiener Kollektive wie The Weird, die regelmäßig miteinander malen. Ich selbst versuche mit dem Festival Hands off the Wall zu zeigen, dass es auch anders geht. SSOSVA geht als Kollektiv über Kunst hinaus, wir wollen die Welt verbessern, aber man kann genauso auch einfach Tipps haben, wo es Wände gibt.

Chinagirl Tile arbeitet mit Keramiken im öffentlichen Raum weltweit.

Foto: Peter Taschler

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Ist kommerzieller Erfolg Verrat?

Ob eine Wand legal oder illegal ist, war mir immer egal. Es gibt sehr viele illegale Plätze, die man auch legal machen kann, wenn man sich mit den Leuten, denen sie gehören, unterhält. Oft sind sie froh, wenn da ein Künstler quasi interveniert. Was mich mehr interessiert, ist, wie die Wand beschaffen ist. Was eine Wand interessant macht? Etwa ihre Größe oder die Umgebung, in der sie steht. Viele Objekte sieht man, und es macht einfach klick, wie beim Agrarspeicher in Korneuburg, den ich 2017 bemalt habe. Oft hat man aber ein Bild im Kopf und überlegt, wo könnte es hinpassen.

Ich habe nichts gegen Aufträge. Man macht es, oder man macht es nicht, das kann jeder selbst entscheiden. Wenn einer meint, das ist nicht "real", ist das seine Sache. Aber es muss ja nicht zwangsläufig immer auf hart gespielt werden. Zudem freuen sich viele Künstler, die am Anfang stehen, wenn sie Resonanz bekommen.

Man kriegt das Interesse des Marktes seit dem Erfolg von Banksy absolut mit. Es gibt einige Galerien, die mich vertreten, das ist über die letzten Jahre entstanden. Sie verkaufen Bilder, die ich im Atelier produziere. Das ist ein klassischer Kunstmarkt. Mit Street-Art hat das relativ wenig zu tun, ich hab mich nie Street-Artist genannt, es wird aber in meine Arbeit hineininterpretiert, weil sie auch im öffentlichen Raum stattfindet.

Golif lebt in Wien und hat an der Angewandten studiert. Ab 18. Juli zeigt er in der KMG Art Galerie in Wien neue Arbeiten.

Foto: Ingo Karnicnik/KMG

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Wie geht die Szene mit Frauen um?

Wenn man unterwegs ist, sieht man hauptsächlich Männer malen. Als ich anfing, habe ich gehofft, dass für mich dabei die gleichen Spielregeln gelten wie für meine Kollegen. Sie waren nicht unfreundlich zu mir, aber man wird als Frau doch anders behandelt. Ich habe dann beschlossen, dass ich meine Energie nicht darauf verwende, die Spielregeln zu ändern, sondern mein Ding zu machen. Am Ende ist es wichtig, dass das Bild wo steht. Für Betrachter macht es keinen Unterschied, ob ein Mann oder eine Frau es gemalt hat. Ich habe aber unlängst mit einem Kunden telefoniert, der überrascht war, eine Frauenstimme zu hören. So ist wohl die Erwartungshaltung.

Video Oner studierte Kunstgeschichte und arbeitet in Wien und Linz.

Foto: Tomislav Mesic

(Michael Wurmitzer, 8.7.2019)