Wien – Der orange Greifarm klemmt eine Waschmaschine ein. Es knackt. Etwa 20 Meter weiter unten auf dem Gehsteig hält eine Frau ihre Handykamera durch den Bauzaun und filmt mit, wie das Gerät auf dem Schutthaufen landet. Es kracht, staubt und dröhnt. Dann schiebt der Greifer Schutt über die Geschoßkante. Holztüren und Regalböden krachen herunter. Die Frau mit dem Smartphone hält drauf. Das war ihre Küche.

Eine gewaltige Explosion zerstörte vor eineinhalb Wochen Teile eines Gemeindebaus in der Preßgasse, Ecke Schäffergasse in Wien-Wieden. Es war der 26. Juni, ungefähr 16.30 Uhr. "Ich habe mich gerade im Schlafzimmer angezogen, dann kam es zu einem Knall. Ich habe mit auf mich fallenden Möbelteilen gekämpft", schildert die Frau in T-Shirt, Sommerhose und Birkenstockschlapfen. Sie will ihren Namen nicht in der Zeitung lesen. "Vor der Tür im Gang konnte ich vor lauter Staub nicht einmal mehr meine Hand sehen."

Abrissbagger vergrößerten diese Woche das Loch, das nach einer Explosion in der Preßgasse in Wien-Wieden in einem Haus klafft.
Foto: Robert Newald

Irgendwie hätten sie und eine Freundin, die gerade auf Besuch war, es die Treppe heruntergeschafft. Einmal durfte sie seither kurz in ihre Wohnung. "Was kann man in 20 Minuten schon mitnehmen?" sagt die Frau, die mit ihrer Schwester hier wohnte. Schlaf- und Wohnzimmer erscheinen noch intakt. Andere Räume wurden zerfetzt. Eine Abrissfirma entfernte Ende dieser Woche lose Bauteile, die herabzustürzen drohten. Ob die Bewohner der schwerbeschädigten Stiege 1 noch einmal in ihre Bleibe dürfen, um Dinge zu holen, soll laut Wiener Wohnen kommende Woche entschieden werden. Dann wird auch fixiert, wann der Abriss beginnt, der dann auch Stiege 2 betrifft.

Gerüchte schwirren herum

Zwei Menschen kamen bei der Explosion ums Leben: eine 29-jährige Frau und ein Mann, dessen Identität noch zur klären ist. Die Polizei erhofft sich Aufschluss durch einen DNA-Abgleich, dessen Ergebnis noch nicht vorliegt. Gerüchteweise hat es sich bei dem Mann um einen Koch gehandelt, der seinen Job verloren habe. Mehrere Personen wurden bei der Explosion verletzt. Dutzende Fenster mehrerer Häuser zersprangen in tausende Scherben. Mauern barsten, Decken stürzten ein.

Die Spurenauswertungen durch die Brandermittlungsgruppe laufen noch. Bald nach dem Unglück sprachen die Einsatzkräfte von einer Gasexplosion. Hartnäckig halten sich im Grätzel Gerüchte, Sprengstoff sei im Spiel gewesen. Eine Anrainerin sagt, es habe mit Mietern aus dem Haus immer Probleme gegeben – "die haben den ganzen Tag aus dem Fenster geschaut". Sie mutmaßt, dass vielleicht jemand erpresst oder ein Attentat geplant worden sei. Von Wiener Wohnen heißt es: "Angriffe auf unsere Mieter weisen wir auf das Schärfste zurück."

21 neue Mietverträge

Rund 50 Menschen wohnten in dem Gemeindebau. Ihnen werden nun in anderen Gemeindebauten Wohnungen angeboten. Etwa 21 neue Mietverträge hätten Betroffene inzwischen unterzeichnet, erklärte ein Wiener-Wohnen-Sprecher am Freitag. "Etwa drei können sich mit der Suche nach einer neuen Wohnung noch nicht befassen, weil sie das Ganze noch verarbeiten müssen oder im Krankenhaus sind. Alle weiteren machen auch bereits Besichtigungen." Drei Monate Miete erlasse man ihnen wegen des erlittenen Schadens. An der gleichen Adresse soll ein Neubau entstehen. Alle bisherigen Mieter sollen dann in diesen einziehen können – wenn sie wollen.

Die Fenster mehrerer Häuser barsten, auch bei einem Gemeindebau schräg gegenüber. Die meisten dort wurden bereits erneuert, manche sind noch durch Spanplatten ersetzt.
Foto: Robert Newald

"Wenn ich die Möglichkeit hätte, ich würde es nicht tun", sagt Margarete Stoklassa (69), kurze braune Haare. Sie ist Mieterin in einem schräg gegenüberliegenden Gemeindebau, in dem sämtliche Stiegenhausfenster zersprangen. Drei Tage lang traute sich Frau Stoklassa nach der Explosion nicht auf die Straße. "Das Haus hat gezittert, wir sind hinaus. 100.000 Scherben lagen auf dem Auto." Die zersprungene Heck- und Frontscheibe ihres roten Kombis sind bereits repariert. "Das ist alles nichts gegen ein Menschenleben", sagt sie.

Keine Haushaltsversicherung

Manche Mieter, die nun eine neue Einrichtung brauchen, hatten nach Informationen der Bezirksvorstehung Wieden keine Haushaltsversicherung. "In Geschäften in dem Grätzel wurden Spendenboxen aufgestellt, und es gibt zwei Spendenkonten", sagt Bezirksvorsteherin Lea Halbwidl (SPÖ). Volkshilfe und Caritas sammeln Spenden. Matratzen und Kinderspielzeug wurden bereits übergeben.

Vor dem Eingang zum Gemeindebau stapeln sich persönliche Gegenstände. Ein Klavierhocker, ein Spiegel, ein weißer Schreibtisch. Mitarbeiter von Wiener Wohnen in Poloshirts tragen Gegenstände und Möbel heraus und deponieren sie in weißen Containern oder Transportern. Die Dinge werden je nach Wunsch der Besitzer weiter in ihre neuen Wohnungen gebracht oder in Großlagern deponiert. Vor dem Eingang sitzt ein Sicherheitsmann, der kontrolliert, dass nur Bewohner das Haus betreten.

Menschen stellten Blumenvasen und Kerzen auf und hängten eine Laterne an den Bauzaun, der die Gehsteig und Fahrbahn beim betroffenen Haus weiträumig absperrt.
Foto: Robert Newald

Die Frau mit dem Handy hat sich wieder auf den Weg gemacht. Sie wohnt vorübergehend im 16. Bezirk bei Freunden. Unweit der Stelle, an der sie zusah, wie ihre Küche zerstört wurde, stehen drei Kerzen. Daneben eine Vase mit orangen und gelben Rosen. Sie sind von der Sommerhitze schon etwas welk. (Gudrun Springer, 7.7.2019)