Verlässt man die Wiener U6-Station Josefstädter Straße, steht man am Gürtel. Es ist laut und hektisch. Die meisten Passanten steigen in die Straßenbahn um oder kaufen schnell einen Kebab bei einem der Imbissstände. Es ist nicht unbedingt ein gemütlicher Ort, der zum Verweilen einlädt.

Trotzdem halten sich in der Nähe der grünen Stationseingangstüren Menschen auf. Manche haben bereits am frühen Vormittag eine Dose Bier in der Hand, andere sind gezeichnet von ihrer Drogensucht. Die meisten haben kein Geld, um sich in ein Kaffeehaus zu setzen. Viele haben keine eigene Wohnung, manche nicht einmal einen festen Schlafplatz.

Neues Konzept

Seit Jahren gelten Stationen und ihre angrenzenden Außenbereiche entlang der U-Bahn-Linie U6 als Problemzonen, der Ausdruck Hotspots wurde da und dort schon überstrapaziert. 2016 intensivierte sich der Drogenhandel entlang der U6, speziell dort, wo sich viele Lokale in den U-Bahn-Bögen befinden. Durch eine Gesetzesänderung, die Dealen mit Kleinstmengen wieder stärker bestrafte, hat sich der offene Drogenhandel laut Auskunft der Polizei "spürbar verringert".

In den letzten Jahren habe sich die Situation entlang der U6 laut Polizei "stark verbessert". "Das wird uns auch von der Bevölkerung rückgemeldet", sagt Polizeisprecherin Irina Steirer.
Foto: Regine hendrich

Ein paar Dutzend Menschen von den Rändern der Gesellschaft sind aber geblieben. Aus Sicht der Stadt Wien gehört die Josefstädter Straße nach wie vor zu jenen Plätzen, bei denen "hoher Handlungsbedarf" besteht. Kürzlich hat die Suchthilfe gemeinsam mit den Wiener Linien, ÖBB und Polizei ein Konzept entwickelt, das Verkehrsknotenpunkte hinsichtlich seiner sozialen Verträglichkeit abklopfen soll. Faktoren wie Konflikte zwischen Nutzergruppen, Höhe der Passantenfrequenz oder die allgemeine Beschwerdelage sollen in die Bewertung einfließen.

Von 40 überprüften Orten fallen – einem vierteiligen Punkteschema entsprechend – vier in die "rote Kategorie" mit "hoher Intensität". Neben der Josefstädter Straße werden auch die U6-Station Gumpendorfer Straße, der Franz-Jonas-Platz in Floridsdorf sowie der Praterstern dazugerechnet.

Kaffee, Kochen, Waschen

Dass sich marginalisierte Menschen bei der U-Bahn-Sation Josefstädter Straße aufhalten, ist nichts Neues. "Es ist ein in dieser Hinsicht tradierter Platz", sagt Vera Howanietz, Bereichsleiterin der städtischen Sozialorganisation Obdach Wien. Seit 30 Jahren bietet deshalb das direkt bei der U-Bahn-Station angesiedelte Tageszentrum Josi Aufenthaltsmöglichkeiten für obdachlose Menschen an. Es ist das älteste städtische Zentrum seiner Art.

Ins Josi darf fast jeder. Nur Menschen mit Hausverbot und Hunde ohne Beißkorb sind ausgenommen. Auch an einem warmen Julitag ist das Zentrum gut besucht. "Einen Kaffee, bitte", sagt ein Mann zu einem Sozialarbeiter, der hinter einer schlichten Theke steht. Ein paar Cent kann er dafür erübrigen, mehr wird auch nicht verlangt. Andere nutzen das WLAN oder die Kochmöglichkeit. Im hinteren Bereich nimmt eine Frau ihre Wäsche aus einer der sechs Waschmaschinen, die teilweise aufeinandergestapelt wurden.

Das Tageszentrum Josi bekommt auf der hinteren Seite einen Zubau.
Foto: Regine Hendrich

Ausbau des Tageszentrums

Anders als am Praterstern wird weder bei der Josefstädter Straße noch bei anderen Stationen entlang der U6 ein Alkoholverbot verhängt – das gab Bürgermeister Michael Ludwig (SPÖ) letzte Woche bekannt. Vielmehr will man auf einen anderen "Maßnahmenmix" setzen.

Insgesamt werden 330.000 Euro in den Ausbau der Sozialarbeit investiert, sagt der Wiener Sucht- und Drogenkoordinator Ewald Lochner dem STANDARD. Dass am Praterstern ein Alkoholverbot eingeführt wurde und an anderen Plätzen nicht, liege daran, dass dort die Ausgangslage "eine völlig andere" sei. So hätten sich früher am Praterstern drei- bis viermal so viele Leute wie etwa auf dem Franz-Jonas-Platz aufgehalten. Doch auch in Floridsdorf und bei der Gumpendorfer Straße wird neben der Polizeipräsenz die Sozialarbeit erhöht.

Mit dem Zubau beim Tageszentrum "Josi" an der U6 will man die Zielgruppe nicht von der Öffentlichkeit abschirmen, sagt der Wiener Sucht- und Drogenkoordinator Ewald Lochner. Vielmehr gehe es um ein Zusatzangebot.
Foto: Heribert Corn

Noch diesen Sommer soll bei der Josefstädter Straße ein zu Josi gehörender Außenbereich entstehen – ohne Dach, damit Rauchen weiterhin möglich bleibt, aber sichtgeschützt. "Der Bereich hier wird so oder so genützt", sagt Howanietz. "Die Maßnahme soll auch zur Entlastung des öffentlichen Raums beitragen." Etwa 30 Personen werden dort Platz finden.

Wände und Sonnensegel

An der Rückseite des Zentrums stehen bereits jetzt temporär Parkbänke. Fünf Männer und eine Frau sitzen dort und rauchen, einer trinkt Wein aus der Plastikflasche. Hinter ihnen befindet sich ein Blumenbeet, das von den Klienten selbst betreut wird.

Künftig werden sie hier zwischen Wänden und unter einem Sonnensegel sitzen. Im Gegensatz zum Inneren soll es hier aber weiterhin möglich sein, Bier und Wien zu konsumieren. So könne man besser beraten, auch zum Konsumverhalten, sagt Howanietz. Davon, bestimmte Gruppen von öffentlichen Plätzen zu vertreiben, hält sie nichts. "Diese Menschen sind Teil der Gesellschaft, in der wir leben." (Vanessa Gaigg, 11.7.2019)