Jeder Sportfan kennt und liebt sie, die kurzen Highlight-Clips, die vor allem aus den sozialen Medien nicht mehr wegzudenken sind. Mein Facebook-, Youtube- oder Instagram-Algorithmus hat schon längst verstanden, dass ich lieber Wayne Rooneys 50-Meter-Weitschusstor oder Roger Federers erfolgreichen Tweener (einen Schlag, bei dem man verkehrt zum Netz steht und den Ball durch die eigenen Beine wieder über das Netz befördert) sehe als ein Video über ein schnelles Auto oder eine Kuchenbackanleitung.

In einem US-Open-Semifinale hätte wohl niemand auf einen Algorithmus vertrauen müssen, um die Zirkulation dieses viralen Tennispunkts zu garantieren. Hätte ihn ein weit unbekannterer Spieler auf einem Nebenplatz geschlagen, der Algorithmus hätte es aufgrund der Spieler- und Fanreaktionen bestimmt als Highlight auserkoren.
penabaza

Was Federers und Rooneys Video gemeinsam haben? Beide wurden von Jubelausbrüchen auf den Rängen, aber auch von euphorischen Reaktionen der Sportler begleitet. Sport löst Emotionen aus: auf den Rängen, bei den Sportlern und mitunter zu Hause auf der Couch. Solche Highlights sind aber auch die beste Werbung für den Sport an sich oder eine Veranstaltung im Speziellen. Bei großen Grand-Slam-Tennisturnieren geht man deshalb immer öfter auf Nummer sicher, um keines dieser speziellen Schmankerln für den geneigten Sportfan zu verpassen.

18 Spiele gleichzeitig

Da vor allem in der ersten Woche solcher Großturniere aber meist auf bis zu 18 Plätzen gleichzeitig über mehr als zehn Stunden die Filzkugel von links nach rechts gedroschen wird, ist es für die Organisatoren schwierig, eine entsprechende Teamgröße zur Verfügung zu stellen, um alles abzudecken – befeuert durch die finanzkräftige Konkurrenz der Bezahlsender will man aber an diesem lukrativen Markt mitnaschen. Gemeinsam mit IBM hat man sich am heiligen englischen Rasen von Wimbledon deshalb dazu entschieden, die Rechenleistung moderner Computer hinzuzuziehen. Der US-Tech-Riese hat ein System entwickelt und über die Jahre trainiert und verbessert, das eine äußerst genaue Vorstellung von menschlicher Begeisterung hat.

Damit das gelingt, werden vor allem Bild und Ton analysiert. Das System hat gelernt, wie der Aufprall eines Tennisballs auf dem Boden klingt, etwa wenn eine Spielerin vor der Angabe den Ball auf dem Boden aufprellt. Das signalisiert nämlich einen potenziellen Beginn eines Highlight-Clips. Geht bei einem spektakulären Ballwechsel dann ein Raunen durchs Stadion, stöhnen die Spieler immer lauter auf, weil sich der Ballwechsel schon so lange hinzieht, und jubelt das Publikum am Ende ekstatisch, sind die Chancen sehr hoch, dass es sich um einen sehenswerten Ballwechsel gehandelt hat. Vorsicht ist jedoch bei besonders beliebten Lokalmatadoren geboten, da diese in der Publikumsgunst meist bevorzugt behandelt werden.

IBM UK & Ireland

Die Bildanalyse gestaltet sich etwas schwieriger, berichtete IBM gegenüber "Tech Insider". "Wir schauen uns nicht die Gesichtsausdrücke der verschiedenen Spieler an, weil diese zu individuell unterschiedlich sind. Sehr wohl aber achten wir auf physische Gesten", sagt ein Sprecher. Die bei Tennisspielerinnen und -spielern beliebte erhobene Faust in Richtung des Gegenübers ist ein solches Indiz, nach oben gerissene Arme signalisieren oft einen verwerteten Matchball, können natürlich aber auch Ärger über das eigene Spiel zum Ausdruck bringen. Der obligatorische Handshake nach dem Spiel hingegen ist beinahe immer ein Highlight wert, folgte ihm doch wenige Sekunden zuvor der letzte Punkt des Spiels.

Die leidige Handtuchfrage

Leichte Schwierigkeiten erzeuge derzeit noch das von Tennisspielern gerne auch einmal nach jedem Punkt geforderte Handtuch, da auf den ersten "Blick" für das System nicht immer klar ist, ob die Arme zum Jubel emporgehen oder das Handtuch bei einem Ballkind eingefordert wird.

Die Highlight-Clips werden nach einem Match oft binnen weniger Minuten gereiht, geschnitten und als spannendes Kurzvideo in sozialen Medien verbreitet. Auch weniger bekannte Athletinnen und Athleten auf Nebenplätzen können ihr Spiel dadurch besser analysieren oder sich der Welt präsentieren.

Die technischen Möglichkeiten rund um ein "einfaches" Tennisspiel werden immer beeindruckender.
IBM UK & Ireland

Während so mancher handselektierten Highlight-Clips nachtrauert, hat er vermutlich bereits etliche computergenerierte Videos gesehen, ohne das bemerkt zu haben. In der Branche ist man überzeugt, dass die Zukunft des Sport-Entertainments nicht ohne automatisch generierte Highlight-Clips auskommen wird. Dennoch legt man bei IBM und Co wert darauf, das Spiel in seiner Einfachheit weiterhin möglichst unberührt zu lassen, während rund um die großen Tenniscourts der Welt nicht nur hunderte Highspeed-Kameras stehen, sondern auch Millionen Daten an jedem Tag ausgewertet werden. (faso, 20.7.2019)