Ist die Demokratie zukunftsfähig? Welche Problemlösungskapazitäten haben demokratische Regierungen? Wir erleben kollektive Realitätsverweigerung und Appelle an die Angst der Bürger angesichts neuer Herausforderungen.

Das kapitalistische System stößt seit der Wirtschaftskrise von 2008 an die Grenzen seiner Leistungsfähigkeit. Verdruss und Unbehagen gegenüber den Politikern ist die Folge des bedenklichen Zustands der liberalen Demokratie. Filz und Vetternwirtschaft, Klientelsystem und politische Verkommenheit bilden den Nährboden für den Aufstieg populistischer Parteien. In Zeiten der aus den Fugen geratenen Migration und der zunehmenden Elitenabwanderung produziert die Macht der Angst düstere Szenarien für die Zukunft. Die von dem britischen Sozialwissenschafter Colin Crouch schon früh (2004) erkannte Entwicklung zur "Postdemokratie" führte statt zu dem von ihm erhofften Aufschwung der Sozialdemokratie zum Teil zum Vormarsch der populistischen Nationalisten, zum Teil aber auch zu der vor dreißig Jahren unvorstellbaren Anziehungskraft der Diktaturen.

Russlands Präsident Wladimir Putin erklärt den Liberalismus für überholt.
Foto: APA/HANS KLAUS TECHT

Der von Freedom House gemessene Grad an Freiheit nimmt seit 2007 jedes Jahr in deutlich mehr Ländern ab als zu, womit sich der Trend nach dem Kalten Krieg umkehrt. Der amerikanische Politologe Larry Diamond sieht in einem Artikel der "Foreign Affairs" einen besorgniserregenden weltweiten Trend ohne ein Ende in Sicht, noch dazu mit einem "freiheitsfeindlichen Populisten im Weißen Haus". Es werde nur dann zu einer Umkehr dieses Niedergangs der Demokratie kommen, wenn sich die Vereinigten Staaten wieder federführend für die Förderung der Demokratie einsetzen.

Retter christlicher Traditionen

Indessen erklärt Wladimir Putin, der Herrscher eines nicht demokratischer, sondern autoritärer und aggressiver gewordenen Russlands, den Liberalismus für überholt. Im Interview mit der "Financial Times" tritt er als Retter der christlichen Traditionen gegen Multikulturalismus, Homosexualität und im Westen "straflos mordenden und plündernden Migranten" auf. Dass von einem Rechtsstaat und anderen westlichen Institutionen nach wie vor keine Rede sein kann, zeigten am Wochenende die Bilder von der Polizeibrutalität bei der Auflösung der gegen den Ausschluss der unabhängigen Kandidaten bei der Moskauer Kommunalwahl protestierenden friedlichen Demonstration sowie die Verhaftung von über 1000 Menschen "wegen verschiedener Vergehen".

Nur solche Politclowns wie der als "Wasserträger Putins" bezeichnete, rabiat fremdenfeindliche Innenminister Italiens, Matteo Salvini, und seine rechtsradikalen Freunde in Berlin, Wien und Paris sehen Putins Russland als ein Gegenmodell zu den etablierten westlichen Demokratien.

Während sich Putin auf die Geheimpolizei und die Armee verlässt, tritt der chinesische Präsident Xi Jinping als Vertreter der globalen Wirtschaftsmacht und des Machtmonopols der KP auf. Großbritannien wird von einem Premier aus der EU geführt, den seine Parteigänger einen Lügner und einen Betrüger, einen egozentrischen Clown nennen.

Die ungefährdeten Diktatoren sind selbstbewusst, und das Hofieren der Politclowns in Washington und Rom, morgen vielleicht in London, fällt auf fruchtbaren Boden. (Paul Lendvai, 30.7.2019)