Emcke: Ihr Monolog "Ja heißt ja und ...", der im Dezember 2018 Premiere an der Berliner Schaubühne hatte, ist ein Dialog.

Andreas Labes

Am Anfang ist immer der Zweifel." Auch bei Carolin Emcke: Das neues Buch der deutschen Philosophin und Feministin Ja heißt ja und ... ist ein schmaler Band, der ein denkbar breites Spektrum rund um das Thema Sexismus, Machtmissbrauch und Diskriminierung offenlegt, ja offenbart. Denn Emckes Text über #MeToo, der zunächst als Lecture-Performance für die Schaubühne Berlin entstanden ist, setzt da an, wo die #MeToo-Debatte auf weiten Strecken versagt hat: Ja heißt ja und ... betreibt keine Schwarz-Weiß-Malerei, keine reflexhafte Lagerbildung, sondern versucht vielmehr aufschreiben, zu beschreiben, was ist. Und: wie das so war, was da passiert ist und auch was in einem vorging. Die manchmal fast spröde wirkende Emcke ringt um Wahrhaftigkeit und bringt dafür sich und eigene Erfahrungen mit ein: "Für mich als homosexuelle Frau gab und gibt es zudem das traurig-vorteilhafte Missverständnis, von männlichen Kollegen als gleichwertig, aber eben als männlich wahrgenommen zu werden. (...) Ich wurde weniger als Frau herabgesetzt als andere."

Tabus und Minenfelder

Klug und ehrlich ackert sich Carolin Emcke durch sämtliche tabuisierte Gesellschafts- und Minenfelder durch. Und spricht gleich zu Beginn das vermeintlich Unaussprechliche an. Im bundesdeutschen Sprachgebrauch heißt das dann "Mitschnacken", etwas, wovor Kinder – wir alle – gewarnt worden sind: "Lass dich nicht mitschnacken!" Lass dich nicht ansprechen, nicht mitnehmen, zum Beispiel von alten Männern. Mitschnacken also. Das klingt fast lustig, schreibt Emcke, dabei ging es damals schon um sexuelle Übergriffe und Gewalt. Aber damals wie heute gilt: Nicht die verbrecherische Handlung wird tabuisiert, sondern das Sprechen darüber.

Das bricht Emcke auf, sie spricht, sie schreibt auf, sie fragt sich. Etwa: Wie kommt Machtmissbrauch zustande? Und wie kommt es dazu, dass er geduldet wird? Und nicht: Warum ist jemand überhaupt mitgegangen? Warum hat sie sich nicht gewehrt? Ihr Plädoyer für mehr gegenseitige Achtsamkeit stellt sich gegen ein leichtfertiges Abtun von Umständen, nur weil man sie selbst nie erlebt hat. Es geht um die Einsicht, dass die Bedeutung der eigenen Existenz nicht verallgemeinerbar ist. So simpel? Ja, aber ungeheuer wichtig. Emcke plädiert für Empathie, obwohl der Begriff so nicht explizit vorkommt.

Um jetzt einmal zu verwirren

Sie arbeitet mit Beispielen, eigenen und die von anderen, die sie sehr konkret aufzählt, um unsere oft eingefahrenen Denkmuster ins Wanken zu bringen. "Ich kann gegen ausbeuterische Arbeitsverhältnisse in Fabriken in Freihandelszonen protestieren und für die Einführung von Uni-Sex-Toiletten sein", schreibt Emcke. "Ich kann übrigens auch Räume für promiske Sexpraktiken fordern und zugleich Religionsunterricht an öffentlichen Schulen gutheißen." Ihr Nachsatz im Anschluss: "Nur, um mal eben vollständig zu verwirren." Aber erstaunlicherweise schafft Emcke mit dem Aufzeigen schmerzhafter Leerstellen und dem Formulieren ambivalenter Zwischentöne nicht mehr an Verwirrung, sondern eine angenehme Klarheit im Land der Bademantelträger – und im Zweifel eben auch -trägerinnen.

Emcke weiß als Philosophin, "wie fragil Gewissheiten sind". Es geht ihr um ein "gemeinsames Nachdenken" – und das bewirkt ihr Buch tatsächlich, einen Prozess der Erinnerung an die eigene sexuelle und sonstige Sozialisation im Leben. Was tut man selbst, wenn eine Freundin von ihrem Mann geschlagen wurde? Warum geht man immer davon aus, dass sexuelle Gewalt nur an Frauen verübt wird? Muss alles im Detail ausgebreitet werden? (Ja, es muss!) Und für alle, die jetzt wieder mit der Tugendterror-Keule kommen, definiert Emcke auch diese Sache ganz klar: "Bei #metoo geht es nicht um die Abwehr von Sexualität. Es geht um die Lust auf Sexualität", schreibt Emcke. Ja heißt ja, aber: "Missbrauch und Nötigung sind keine Sexualität. Sie sind Missbrauch und Nötigung."

Noch Zweifel? (Mia Eidlhuber, 3.8.2019)