Im August 1980 forderte der damalige Bundespräsident Rudolf Kirchschläger das "Trockenlegen der Sümpfe und sauren Wiesen" in Österreich. Er rief damit keineswegs zur Begehung einer Umweltsünde auf. Die politische, moralische, ökonomische Sünde der Korruption und Bestechlichkeit sollte bekämpft werden. Kirchschlägers naturkundliche Metapher betraf den Korruptionsskandal um den Bau des Allgemeinen Krankenhauses (AKH) in Wien und sorgte für enormes Echo. Zart spross die Hoffnung, damit werde eine neue Ära transparenten, effizienten und modernen öffentlichen Wirtschaftens eingeleitet – abseits von Freunderl- und Parteibuchwirtschaft.

Hochsaison der Postenschacherei

39 Sommer später hat Postenschacherei immer noch Hochsaison. Da schwadronieren zwei blaue Politiker in einem heimlich aufgezeichneten Video machtbesoffen davon, wie sie mithilfe einer vermeintlichen Investorin die Republik zu kaufen gedenken, und nennen so ganz nebenbei ein paar hübsche Beispiele dafür, wie das unter anderem die ÖVP, der spätere Koalitionspartner, schon handhabe und wie ein Glücksspielkonzern sowieso "alle kauft". Dann kommt besagte Partei, die FPÖ, tatsächlich in Regierungsverantwortung und soll einen ihrer Leute mithilfe dieses Konzerns in eine entscheidende Position bei den Casinos Austria gedrückt haben – angeblich gegen das Versprechen, dem Konzern künftig mit günstigen Gesetzen dienlich zu sein (was alle Beteiligten dementieren und wobei natürlich wie immer die Unschuldsvermutung gilt). Der Verdacht der Korruption und Bestechlichkeit ist jedenfalls so groß, dass die Wirtschafts- und Korruptionsstaatsanwaltschaft die Sache gründlich recherchiert.

Man fragt sich: Wie weit dürfen Parteien den Verfassungsbogen eigentlich strapazieren? Was muss noch passieren, bis der FPÖ ein dunkelrotes Koalitions-Stopp-Schild entgegenleuchtet? Wann stellen sich der Bundespräsident und die Übergangskanzlerin entschieden vor die Justiz und wehren Angriffe gegen sie ab?

Schonungslose Aufklärung muss höchste Priorität haben

In der Ibiza- und der Casinos-Affäre, die nach Schredder-Gate womöglich eng miteinander verbunden sind, muss schonungslose Aufklärung höchste Priorität haben. Die Republik darf nicht käuflich sein. Die Möglichkeit jeglicher Korrumpierbarkeit muss ausgeschlossen werden. Dasselbe gilt für die Unkultur der Postenschacherei im Land. Eine Untersuchung des Politologen Laurenz Ennser-Jedenastik über parteipolitische Postenbesetzungen zwischen 1995 und 2010, welche "Addendum" bis in die Gegenwart ergänzt hat, zeigt eine regelrechte Staatstradition der Parteibuchwirtschaft. Seit Jahrzehnten werden im staatsnahen Bereich vor allem jene belohnt, die als "verlässlich" gelten – und nicht jene, die besonders klug, erfahren, fähig sind.

Die ÖVP setzte "ihre" Leute am häufigsten an die Schaltstellen der Republik. Ungeachtet dessen trommeln gerade ÖVP-Funktionäre ständig, dass sich Leistung lohnen müsse. Und Altkanzler Sebastian Kurz versprach einst ein "neues Regieren" und das Abstellen auch dieser alten, schlechten Praxis.

Die Tatsache, dass die derzeitige Regierung ein Ablaufdatum hat, könnte eine Chance für einen "Übergang" im besten Sinne sein: Sie soll umsetzen, was Kurz versprochen hat. Der Bundespräsident soll sie darin unterstützen. Denn die sauren Wiesen und Sümpfe in der Politik blühen weiter. Ihre Dämpfe vergiften das Land. Höchste Zeit, sie trockenzulegen. (Petra Stuiber, 16.8.2019)

Mit Wiesen und Sümpfen anderer Art wird sich die österreichische Justiz noch länger beschäftigen.
Foto: Robert Newald