Hier gelten eigene Regeln: die Dubai Silicon Oasis, eine von dutzenden Freihandelszonen in den Vereinigten Arabischen Emiraten.

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"Die amerikanischen Suburbs des 20. Jahrhunderts sind reine Serienprodukte", sagt ...

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... Yale-Professorin Keller Easterling.

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Ihr Forschungsgebiet sind nicht erhabene baugeschichtliche Details, sondern die neuen Formen der Gegenwart. Nicht das einzelne Baudenkmal, sondern das, was überall ist: Flughäfen, Siedlungen, Infrastruktur. Ihr Forschungsmaterial sind Werbefilme für Businessparks. Die Architekturtheoretikerin Keller Easterling, Professorin an der Yale University, erklärt im Gespräch mit dem STANDARD, wie man Shoppingmalls subversiv unterwandert, warum Zwischenräume wichtiger sind als die Dinge und was Architekten vom Billardspielen lernen können.

Standard: Es ist wohl eher ungewöhnlich, dass eine Architekturtheoretikerin sich mit Werbevideos für Sonderwirtschaftszonen beschäftigt. Welche Erkenntnisse haben Sie daraus gewonnen?

Easterling: Jedes Land will Investoren aus dem Ausland anlocken, und diese Werbevideos sehen alle exakt gleich aus. Ein Schwenk aus den Wolken hinunter zu Skylines, identischen Villen, Golfplätzen, untermalt von donnernder Musik. Die urbane Epidemie der Free Zones.

Standard: Wo finden sich diese Zonen?

Easterling: Es gibt verschiedene Spezies, aber alle mit derselben Sehnsucht nach der glitzernden Skyline. Die Modelle Hongkong, Singapur und Dubai haben fast alle anderen infiziert, aber auch China hat ein ähnliches Gesamtpaket anzubieten.

Standard: Was kennzeichnet diese Gebiete? Sind sie extraterritorial, oder beeinflussen sie die Stadt, in der sie sich befinden?

Easterling: Es geht in erster Linie um Jobs. Einer Stadt mit 30 % Arbeitslosigkeit kann man diese Möglichkeit auch schwer verweigern. Aber ihnen sind dadurch die Hände gebunden: Entweder sie bieten den Firmen ein Umfeld, wie es alle anderen auch tun, oder sie verlieren. Oft bröselt ihre eigene Infrastruktur, aber anstatt in diese zu investieren, bauen sie daneben eine neue.

Standard: Manche würden jetzt sagen: Neue Jobs, strahlende neue Hochhäuser, was ist daran so schlimm?

Easterling: Es ergibt einfach wenig Sinn, dass das gesamte Geld in diese Enklaven fließt. Für diese Länder wäre es besser, wenn sie Investoren in ihre schon bestehenden Städte locken. Nehmen Sie Kenia zum Beispiel: Man könnte den Investoren ein Gegengeschäft anbieten, damit diese den öffentlichen Verkehr oder das Mobilfunknetz ausbauen. Aber das Schlimmste an diesen Zonen ist, dass sie die Arbeit und die Umwelt ausbeuten. Es gelten dort überhaupt keine Regeln. Menschen werden exportiert wie Maschinen, sie gehen verloren in juristischen Zwischenräumen, man kann den Missbrauch an ihnen nicht mehr nachverfolgen.

Standard: Es scheint, Sie sehen sich vor allem als Erforscherin der aktuellen Gegenwart, nicht der Architekturgeschichte?

Easterling: Die Geschichte ist ganz wesentlich. Aber ich habe Methoden entwickelt für die Analyse der Architektur der Gegenwart, für die es kein Archiv gibt. Also durchsuche ich Nachrichtenkanäle und Werbematerialien. Die Welt produziert jeden Tag tausende Hektar neuen Raum. Ich frage mich: Wenn das Raum ist und er die globalisierte Welt radikal verändert, könnte es doch sein, dass wir Architekten mehr darüber wissen als ein McKinsey-Berater, der globale Entscheidungen trifft. Ich frage mich, wie wir diesen Raum, der für uns außer Reichweite ist, in den Griff bekommen.

Standard: Welche Methoden gäbe es, das zu erreichen?

Easterling: Ich beschäftige mich zum Beispiel mit architektonischen Elementen, die ich "Repeatable Spatial Products" nenne. Das sind Formeln für kommerziell geprägte Orte wie Golfplätze, Ferienanlagen, Einkaufszentren, Flughäfen. Das eigentliche Gebäude ist nur ein Nebenprodukt des logistischen Apparats, in dem Faktoren wie Lageflächen, Parkplätze und Just-in-time-Logistik zählen. Ich versuche herauszufinden, wie Architekten diesen Apparat manipulieren können, um mehr Wirkung zu erzielen.

Standard: Es geht also gar nicht mehr darum, ein einzelnes Gebäude zu entwerfen?

Easterling: Architekten entwerfen normalerweise ein Haus oder einen Wolkenkratzer, aber es wäre eventuell besser, Multiplikatoren zu entwerfen. Wenn man im Rezept für einen Vorort oder eine Shoppingmall nur eine Zutat ändert, dann ändert man mit einem Schlag Millionen von Räumen. Die amerikanischen Suburbs des 20. Jahrhunderts sind reine Serienprodukte: 17.000 Häuser mit 17.000 Dächern darauf und 17.000 Fernsehern darin. Wenn man dann das Verkehrssystem ändert, wie wir es zurzeit tun, was passiert dann mit den 17.000 Garagen?

Standard: Den von Ihnen entwickelten Begriff Medium-Design beschreiben Sie mit: ist nicht neu, hat nicht recht, funktioniert nicht immer. Das wird Architekten, die davon überzeugt sind, dass ihre Pläne die Welt verbessern, sehr nervös machen. Was ist gut daran, nicht recht zu haben?

Easterling: Es ist völlig in Ordnung, Einzelobjekte zu entwerfen. Aber ich denke, wir können mehr. Was, wenn wir auch die Regeln entwerfen, denen die Objekte unterworfen sind? Wir folgen stets dem Narrativ des Neuen und des Rechthabens. Aber recht zu haben hilft nicht gegen totalitäre Tyrannen. Denn diese haben die inflationäre Lüge perfektioniert. Wir haben ja im Moment in den USA ein perfektes Beispiel, an dem wir das beobachten können. Vernünftige Politik wird von der Politik der Unvernunft problemlos zerstört. Wir brauchen also mehr als vernünftige Ideen. Es ist wie beim Billardspielen: Dabei geht es nie um die eine richtige Lösung. Man reagiert auf wechselnde Bedingungen. Genau darum geht es in Medium-Design: die Potenziale zu ändern.

Standard: Wie zum Beispiel?

Easterling: Ich untersuche gerade UN-Habitat-Projekte, die in wuchernden Stadträndern mittels Selbstfinanzierung Werte für die Bewohner generieren. Ich arbeite an Strategien für dichtbesiedelte Gebiete, die von Überflutungen bedroht sind. Strategien, die die Dynamik der Developer-Maschinerie umdrehen. Und mein Projekt "Many" versucht, befristete Deals zwischen Migranten und Städten auszuhandeln, die die Frage der Staatsbürgerschaft zu umgehen versuchen und von denen beide profitieren. Wir müssen die finanziellen und politischen Konstrukte der physischen Welt manipulieren. (22.8.2019)