Nimm das, du perverses, Frauen und Kinder ausbeutendes Patriarchat! "Das verfluchte Haus" heißt dieser bis zum Exzess verrückte, natürlich blutrote Horrorstreifen von Elio Petri (1968).

Foto: Cinémathèque suisse

In Nightmare Concert, einem der randständigen Filme, die das Österreichische Filmmuseum in Kooperation mit dem /slash Filmfestival im Rahmen seiner Giallo-Retrospektive zeigt, inszeniert sich der Genreveteran Lucio Fulci selbst: als lüsterner Greis, dem es beim Dreh seines sadistischen Splatter-Films nicht zu weit gehen kann. Abseits des Sets leidet er an furchterregenden Halluzinationen grässlich entstellter Leichen. Ein Psychiater attestiert Fulci nicht nur, dass die Grenze zwischen Film und Realität bei ihm verschwommen sei. Er bläut dem Filmemacher auch ein, er sei verantwortlich für die vielen tatsächlichen Morde, die zudem passieren.

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Früh stellt sich aber heraus: Der Seelenklempner selbst ist der Killer. Untypisch für einen Giallo, der sonst bis zum Schluss mit der Auflösung wartet. Das Publikum darf dennoch raten, ob Fulci weiterhin an seinen Wahnvorstellungen leidet – oder ob es sich bei Nightmare Concert nicht auch um einen Film im Film gehandelt hat. Nach der letzten Einstellung, die uns glauben macht, der Regisseur wolle eine Frau meucheln, ruft ein Filmteam "Schnitt". Selten geht es bei einem Giallo derart ostentativ selbstreflexiv zu, reflexionsaffin sind die Filme dennoch oft.

Exzess von Haut und Twists

Der Name spielt auf die Umschläge von Groschenromanen an, deren Erkennungszeichen ein gelber Umschlag war -- "Giallo" ist italienisch für Gelb. Die Filme des Genres, die sich vor allem von den 1960er-Jahren bis in die 1980er-Jahre großer Popularität nicht nur in Italien erfreuten, zeichnen sich durch den Exzess von nackter Haut, Gewalt und Twists aus.

Fast schon schwindelig wird uns ob der zahlreichen Wendungen am Schluss von Sergio Martinos Der Killer von Wien. Gern bringen auch Redeschwalle Licht ins Dunkel des Plots und sollen die Motive der Täterinnen und Täter erklären.

Um die Durchdringung ihrer Psyche geht es aber meist nicht. Gialli liefern keine Charakterstudien, sondern (Ab-)Gründe, die, wie Psychosen oder Geldgier, schnell parat sind. Ohnehin, heißt es, ziehen die Giallo-Regisseure den Stil der Substanz vor. In den Spaghetti-Slashern wird von Serienkillern zu fetziger Musik (u. a. von Ennio Morricone oder den Progrockern von Goblin) und spektakulären Mordszenen reichlich Tomatensauce serviert.

Besessenheit für die Oberflächen

Wer den Regisseuren daraus einen Strick dreht, stimmt ein in den Chor der Unkenrufer, die aus Reflex Oberfläche zugunsten von Tiefe verdammen. Tief blicken lässt das Genre aber gerade in seiner Besessenheit, die es für Oberflächen hegt: Klingen, Spiegel, Glasscheiben, die gleißen, reflektieren, trennen und natürlich zerbrechen.

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Viel Oberfläche heißt auch: viel Selbstreflexion. Schnell vermeint man im zwischen zwei Glasscheiben gefangenen Protagonisten in Dario Argentos Das Geheimnis der schwarzen Handschuhe, der einer Frau hilflos beim Verbluten zusehen muss, die zur Passivität verdammten Zuschauerinnen und Zuschauer zu erkennen.

Oder: Angesichts der Perspektive, die wir beim Giallo-Schauen oft mit dem Killer beim Spannen und Töten teilen, ist unsere voyeuristische Komplizenschaft glasklar (Stichwort: männlicher Blick).

In Argentos Tenebrae muss sich ein Krimiautor der Kritik stellen – einer progressiven Journalistin, die seine Werke sexistisch nennt, und eines kulturkonservativen Kritikers sowie Fans, der meint, die Bücher des Autors würden die Gesellschaft pervertieren.

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Misogynie als Prinzip

Beide Kritikpunkte haben auch das gelbe Genre oft getroffen. Der eine aber meint den Ausdruck, der andere die Wirkung, die von den Filmen ausgehen soll. Dass sich in der Zurschaustellung von Gewalt gegen spärlich bekleidete bzw. nackte Frauen Misogynie ausdrückt, das lässt sich allerdings weniger leugnen als die Tatsache, dass der Konsum blutgetränkter Szenen die Menschen verrohen würde. Dafür braucht es keinen Giallo.

Im Gegensatz zur Zensur, die die Giallo-Filme einst bis zur Unkenntlichkeit verstümmelt hat, weiß das auch Lucio Fulci. Der Mörder in Nightmare Concert ist nicht erst durchs Splatter-Schauen blutdürstig geworden, posaunt aber voller Inbrunst und auch Sarkasmus hinaus, dass Filmgewalt Gewalt in der Wirklichkeit provoziere.

Vielleicht beschert sie Albträume, vielleicht Unbehagen oder Vergnügen. Beim Giallo zumindest aber die Möglichkeit zur Reflexion, warum das überhaupt so ist. (David Auer, 30.8.2019)