Von wegen "gute alte Zeit": Viele Bilder erzählen vom harten Alltag der Landbevölkerung Anfang des 20. Jahrhunderts.

foto: rudi leo

Heuernte, lange bevor der erste Traktor ins Dorf kam.

foto: irmgard leitinger

Rudi Leo, hier bei einer Gedenkveranstaltung des KZ-Verbandes für einen auf der Flucht verhungerten jungen Zwangsarbeiter in Bruck/Fusch, ist die personifizierte Pinzgauer Geschichtsforschung.

foto: thomas neuhold

Schon die Zahlen allein sind beeindruckend: Knapp 9.000 Mitglieder zählt die geschlossene Facebook-Gruppe Historischer Pinzgau derzeit. Dabei auch viele nach Übersee Ausgewanderte beziehungsweise deren Nachfahren. Die Facebook-Gruppe wird von sieben Moderatoren betreut. Insgesamt etwa 17.000 Fotos aus dem vergangenen Jahrhundert wurden bereits erfasst, gespeichert und so für die Nachwelt gesichert.

Im Jänner 2017 hat der aus Bramberg am Wildkogel stammende Historiker Rudi Leo mit der Facebook-Aktion begonnen. Ihm sei es anfangs vor allem darum gegangen, dass die in Kellern oder auf Dachböden in Schachteln und Kisten gelagerten historischen Fotoschätze nicht verschüttgehen, "nicht zum Altpapier kommen", erzählt Leo.

Wissenschaftlich verwertbar

Es ist bald mehr geworden. Unter der Vielzahl der geposteten oder den oft auch sackerlweise übergebenen Fotos fand Leo plötzlich auch wissenschaftlich Verwertbares. So machte sich der Autor des Standardwerks Pinzgau unterm Hakenkreuz beispielsweise – mithilfe des STANDARD – anhand von alten Fotos auf die Suche nach belgischen Zwangsarbeitern, die von den Nationalsozialisten zum Arbeitsdienst auf der Kraftwerksbaustelle in Kaprun gezwungen worden waren.

Über die Aktion Historischer Pinzgau gelangte Leo beispielsweise auch zu Fotos, die den 1971 verstorbenen kommunistischen Widerstandskämpfer Ernst Pikes aus Wald im Pinzgau zeigen. Und die Sammlung ist inzwischen auch Anlaufstelle für andere Wissenschafter, für Journalisten oder Künstler geworden, die sich für Teile der Pinzgauer Heimatgeschichte interessieren.

....bis in die 1970er-Jahre

Den wissenschaftlichen Anspruch hat Leo auch in der Facebook-Gruppe verankert. Man lege großen Wert auf eine – so weit möglich – detaillierte Beschreibung der Bilder: "Was ist zu sehen, von wann ist die Aufnahme, wer hat das Bild gemacht?" Und noch etwas: Eine kommerzielle Nutzung der Fotografien, die bis in die 1970er-Jahre herauf reichen, sei dezidiert ausgeschlossen.

Wobei inzwischen auch der analoge Teil nicht zu kurz kommt. Mindestens zweimal im Jahr lädt "der HiPi", wie der Historische Pinzgau genannt wird, zum Treffen auf eine Alm oder in die Bezirkshauptstadt Zell am See ein.

Aufklärung und Emotion

Den regionalen Hype um die historische Bildersammlung für Salzburgs größten Bezirk erkläre der wissenschaftliche Anspruch natürlich nicht. Vielmehr spiele da die Emotion, "das Wiederkennen der eigenen Jugend, der Verwandten oder der alten Dorf- und Landschaftsansichten eine Rolle", sagt Leo. Das niederschwellige Angebot über Facebook mache es aber auch möglich, die Geschichte etwas anders zu erzählen, als es die Dorfchroniken tun.

Diese Chroniken spiegelten meist die Sicht der lokalen Eliten, der Lehrer, der Pfarrer, der Jäger. Die Bilder zeigten aber auch etwas anderes: "Hunger, Armut, Elend". Leo: "Das war absolut nicht die gute alte Zeit."

Besonderes Augenmerk gilt dabei naturgemäß der Zeit der NS-Diktatur. So mancher Verfasser einer Dorfchronik sei ja Täter oder Mitläufer gewesen. Die Jahre 1938 bis 1945 würden oft "vergessen" oder nach dem Motto "und dann kam die dunkle Zeit" abgehandelt.

Demokratiepolitisches Experiment

Gibt es in einer so großen Facebook-Gruppe auch Konflikte? Kaum, meint Leo, obschon die Mitglieder aus allen weltanschaulichen Lagern kämen. Man habe ein paar Grundregeln aufgestellt, nach denen etwa Rassismus und Sexismus verboten seien. Bis dato habe es nur vier Ausschlüsse gegeben. Das "demokratiepolitische Experiment" funktioniere. (Thomas Neuhold, 31.8.2019)