Auch so gelangt der Norden Tirols mit dem südlichen Landesteil symbolisch zur Deckung: Andreas-Hofer-Denkmal in der Kurmetropole Meran.

Foto: imago/Südtirolfoto

Der Gedenkbetrieb folgt der Logik der runden Zahl, da sind hundert Jahre keine Kleinigkeit – aber 500 sind mehr. Die Anzahl der verstrichenen Jahrhunderte taugt jedoch kaum als Erklärung dafür, dass sich Tirol 2019 zwar mit ein paar Millionen Euro in das Gedenken an den 500. Todestag von Kaiser Maximilian I. gestürzt hat, die Landesteilung vor hundert Jahren aber verschämt unter dem Tisch fallen ließ.

Am 10. September 1919 wurde der Friedensvertrag von Saint-Germain unterzeichnet und Südtirol Italien zugesprochen. Eine Zäsur in der Tiroler Geschichte, mit der sich 2019 weder eine Ausstellung noch sonst ein größeres, gar grenzüberschreitendes Kulturprojekt auseinandersetzt. Abgesehen von akademischen Initiativen im Elfenbeinturm bestehe, so der Südtiroler Historiker Hannes Obermair, "eine Landeseinheit des Schweigens".

Obermair hat bereits 2018 scharf kri tisiert, dass Südtirol zwar "äußerst geschichtsversessen" sei, was das Narrativ der historischen Landeseinheit betrifft, aber "geschichtsblind", wenn es darum geht, die eigene Rolle im Ersten Weltkrieg kritisch zu reflektieren.

Bemühtes Opfernarrativ

Eine Haltung, die sich 2019 fortsetze, auch nördlich des Brenners. Obermair: "Die gemeinsame Matrix einer historischen Amnesie dient immer noch dazu, den kollektiven Leidensdruck einer doppelten Niederlage zu lindern: Krieg verloren und Land verloren, daran will man nicht erinnert werden. Es wird das Opfernarrativ bemüht."

Unterdrückung der deutsch- und ladinischsprachigen Bevölkerung durch die italienischen Faschisten, Nationalsozialismus und die an ihn geknüpfte enttäuschte Hoffnung auf "Erlösung": Auf kleinem Raum haben in Südtirol nach 1918 zwei totalitäre Systeme tiefe Spuren hinterlassen.

Felix Mitterer ist in Tirol die erste Adresse, wenn es darum geht, historische Stoffe für die Bühne zurechtzuschnitzen. Die Tiroler Volksschauspiele zeigten im Sommer Mitterers Verkaufte Heimat, ein Stück zu 80 Jahren Option in Südtirol. Einen großen intellektuellen Entwurf zum Thema bekam man nicht zu sehen. Aber immerhin einen der wenigen Kulturbeiträge zu einem historisch aufgeladenen Gedenkjahr, das keines sein will. Zu dem sich aber eine weitere runde Zahl gesellt: Vor fünfzig Jahren nahm die Südtiroler Volkspartei in einer legendären Abstimmung das sogenannte Südtirol-Paket an, Grundlage für das Zweite Autonomiestatut von 1972.

Heute gilt die Südtiroler Autonomie als Vorzeigemodell, dennoch müsse sie "im Inneren immer noch als gefährdet hingestellt werden, um auch die reaktionäre Flanke zu befriedigen", sagt Hans Heiss, Historiker und bis 2018 Abgeordneter der Südtiroler Grünen im Landtag. "Wenn man 1919 in all seinen Dimensionen in einer Landesausstellung ausgebreitet hätte", glaubt Heiss, "wäre es auch zu einer breiteren Diskussion gekommen."

Rechte, hört die Signale!

Am 5. September, in Südtirol der Jahrestag der Autonomie, kamen die Landeshauptleute aus Nord und Süd doch noch aus der Deckung: In Bozen wurde der historischen Ereignisse gedacht, am morgigen 10. September tut man das auch im Landhaus in Innsbruck. Längst ist bei solchen Gelegenheiten das Zusammenrücken in der Europaregion Tirol-Südtirol-Trentino das Mantra, Schlagworte wie "Unrechtsgrenze" und "Zerreißung" bleiben die Signale für jene Klientel, die als Zukunftsmodell nur die "Landeseinheit" sieht.

"Es gibt immer noch ein Wählersegment, das die Teilung Tirols als Wunde betrachtet", bestätigt Politikwissenschafter Günther Pallaver. In der Lebensrealität der meisten Südtiroler sei das Thema kaum noch von Bedeutung. Dass man die Erinnerungsräume 2019 "patriotisch-konservativen Gruppierungen überlassen hat", hält Obermair dennoch für ein Problem. Denn das Thema werde allzu gern instrumentalisiert. Die Diskussion um den Doppelpass, die die FPÖ ihrer Südtiroler Schwesterpartei just im Südtiroler Landtagswahlkampf 2018 eifrig zugespielt hat, ist ein Beispiel aus der jüngeren Vergangenheit.

Die Euregio gibt sich unterdessen beflissen. Der Ende September in Innsbruck anberaumte Euregio-Museumstag steht unter dem Motto "Jubiläums- und Gedenkjahre". (Ivona Jelcic, 9.9.2019)