In Umfragen für die Nationalratswahl am Sonntag liegt die SPÖ abgeschlagen auf Platz zwei. Wiens Bürgermeister Michael Ludwig verteidigt Spitzenkandidatin Pamela Rendi-Wagner dennoch: Sie habe einen "sehr guten Wahlkampf gemacht". Die Wiener Bevölkerung warnt er davor, ÖVP zu wählen. Sie versuche die Bundesländer, die Sozialpartnerschaft oder Religionsgemeinschaften gegeneinander auszuspielen. "Das halte ich für eine schlechte Politik", so Ludwig.

Michael Ludwig hat anders als Heinz-Christian Strache kein festgelegtes Spesenkonto: "Ich wohne in einem Kleingarten. Das wird mir auch nicht bezahlt."
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STANDARD: Wie hoch ist Ihr Spesenkonto pro Monat?

Ludwig: Ich habe kein festgelegtes Spesenkonto. Mir werden weder Anzug, Tasche noch Schuhe bezahlt.

STANDARD: Auch die Wohnung nicht?

Ludwig: Ich wohne in einem Kleingarten. Das wird mir auch nicht bezahlt.

STANDARD: Heinz-Christian Strache wird trotz des Ibiza-Videos und der Affäre um Spesenabrechnungen als möglicher FPÖ-Spitzenkandidat für die Wien-Wahl genannt. Was bedeutet das für Sie?

Ludwig: Es ist mir jeder und jede recht, ich kann mir nicht aussuchen, wer in Wien antritt. Ich finde es nur bemerkenswert, dass sich Bundespolitiker kurzfristig für Wien interessieren, und dann nach der Wien-Wahl wieder in den Bund abschwirren.

STANDARD: SPÖ-Chefin Pamela Rendi-Wagner geht mit dem Anspruch, Bundeskanzlerin zu werden, in die Wahlauseinandersetzung. Politologe Peter Filzmaier spricht hier von "Realitätsverweigerung". Glauben Sie noch daran?

Ludwig: Glaube ist etwas sehr Privates, ich bin römisch-katholisch. In der Politik glaube ich weniger, da schaue ich, welche Tatsachen anstehen. Rendi-Wagner macht einen sehr guten Wahlkampf. Sie hat auf die richtigen Themen gesetzt und sich nicht in persönliche Konflikte begeben.

STANDARD: Die Umfragen haben sich trotz des Wahlkampfs kaum verändert über die letzten Monate. Die SPÖ ist mehr als zehn Prozentpunkte hinter der ÖVP.

Ludwig: Man soll sich von Umfragen nicht zu sehr beeindrucken lassen. Wenn ich mir anschaue, welche Ankündigungen Kurz für Wien trifft, ist die Wiener Bevölkerung gut beraten, entsprechende politische Entscheidungen zu treffen. Es wird versucht, die Bundesländer, die Sozialpartnerschaft oder Religionsgemeinschaften gegeneinander auszuspielen. Das halte ich für eine schlechte Politik.

STANDARD: Ist eine Koalition zwischen SPÖ und ÖVP trotz der im Wahlkampf offen zur Schau gestellten Abneigung möglich?

Ludwig: Es geht darum, die eigenen Inhalte durchzusetzen, auch in einer Koalition. Wir haben nur eine Koalition mit der FPÖ ausgeschlossen, in Wien und auf Bundesebene. In dieser Einstellung sind wir ja bestärkt worden. Aber wir sind offen für alle Gespräche nach dem 29. September. Meine Kritik bezieht sich nicht auf die gesamte ÖVP, sondern auf eine Art von Politik, die das Gegenteil von dem ist, das wir in Wien machen. Wir versuchen, das Miteinander in den Vordergrund zu rücken.

STANDARD: Stichwort Abschaffung des Zwölf-Stunden-Tages: Ist das eine rote Linie, wo sich die ÖVP bewegen müsste?

Ludwig: Ich war nie generell gegen einen Zwölf-Stunden-Tag. Ich bin auch für eine Flexibilisierung in der Arbeitswelt. Es ist nur darum gegangen, wie das umgesetzt worden ist. In vielen Bereichen gibt es ihn ja schon, der ist aber immer akkordiert worden mit der Belegschaft, den Gewerkschaften, den Betriebsräten. Das wäre der richtige Weg gewesen. Von der Vier-Tage-Woche war übrigens nach der Einführung des Zwölf-Stunden-Tages keine Rede mehr.

Ludwig sieht "keine Veranlassung", die Wiener Gemeinderatswahl vorzuziehen. Der Termin ist für Herbst 2020 vorgesehen.
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STANDARD: Wann wird in Wien 2020 gewählt? In der Steiermark wurden die Wahlen auf November vorgezogen. Was halten Sie von Frühjahr statt Herbst?

Ludwig: Ich sehe dazu keine Veranlassung. Im Unterschied zur Steiermark würde ich das aber gemeinsam mit dem Koalitionspartner lösen.

STANDARD: Gegen den ehemaligen grünen Gemeinderat Christoph Chorherr ermittelt die Staatsanwaltschaft. Es geht um Spenden aus der Immo-Branche an einen von ihm gegründeten Verein – und um Widmungen. Auch ein Magistratsbeamter wurde angezeigt. Was ist Ihre Meinung in der Causa?

Ludwig: Ich habe größtes Vertrauen in die Behörden. Ich treffe keine Vorverurteilungen. Offensichtlich ist knapp vor der Nationalratswahl das Bedürfnis stark gewesen, das an die Öffentlichkeit zu bringen.

STANDARD: Treten Sie dafür ein, dass der Verein die privaten Spendengelder offenlegen soll? Immerhin wurde der Verein von der Stadt auch mit 550.000 Euro gefördert.

Ludwig: Unbestritten ist, dass der Verein gute Arbeit gemacht hat. Die Kritik richtet sich daran, wie die finanziellen Zuwendungen zustande gekommen sind. Da ist Chorherr gefordert, das aufzuklären. Das hat mit uns in der Stadt nichts zu tun.

STANDARD: Vizebürgermeisterin Birgit Hebein tritt für eine Cooling-off-Phase von einem Jahr ein, wenn Politiker in Bereiche wechseln, die mit der politischen Arbeit zusammenhängen. Sind Sie auch dafür?

Ludwig: Man kann alles überlegen. Man muss aber ein System finden, das es Menschen ermöglicht, ein politisches Mandat zu übernehmen. Sonst wird man zunehmend Probleme haben, politisches Personal zu rekrutieren. Man kann weitere Verschärfungen vornehmen. Aber die Politik muss attraktiv für Menschen bleiben.

STANDARD: Belastet die Causa die rot-grüne Zusammenarbeit?

Ludwig: Nein. Mit unserer Zusammenarbeit hat das nichts zu tun.

STANDARD: Der Rechnungshof hat einen stadtnahen Kinderbetreuungsverein in Wien kontrolliert und Luxusgehälter und freiwillige Jubiläumsgelder massiv kritisiert. An den Verein flossen allein 2017 rund 40 Millionen Euro. Hat es hier Konsequenzen gegeben?

Ludwig: Es war insgesamt eine sparsame Verwaltung. Durch das sehr starke Wachstum des Vereins sind nicht zusätzliche Leitungsfunktionen besetzt worden, sondern die bestehenden Mitarbeiter besser entlohnt worden. Das wird nicht mehr vorkommen. In Summe war es aber eine kostengünstigere Situation auch für die Stadt.

STANDARD: Sie haben angekündigt, alle "stadtnahen Vereine, Stiftungen und Fonds" prüfen zu lassen, ob es Compliance-Regeln gibt. Werden diese verpflichtend?

Ludwig: Ich finde es gut, dass der Stadtrechnungshof das kritisch analysiert und Vorschläge macht. Das werden wir in die Subventionsbestimmungen aufnehmen. Jeder Verein wird das unterschreiben müssen.

STANDARD: Im Wiener Gemeinderat und in Ausschüssen stimmen auch SPÖ-Gemeinderäte über städtische Förderungen mit, die Vereine betreffen, in denen sie Funktionen erfüllen. Soll es hier Änderungen geben?

Ludwig: Schon jetzt ist es in der Regel so, dass man nicht mitstimmt, wenn man eine Funktion in einem Verein hat. Der Vorteil in der Demokratie ist ja, wenn viele Menschen entscheiden, dann ist auch die Wahrscheinlichkeit geringer, dass irgendwer aus einer Abstimmung einen Vorteil zieht.

Der Bürgermeister über Parteispenden der Türkisen: "Es wird bei der ÖVP so dargestellt, als ob sich die älteren Damen mit zehn Euro einbringen. Da rollt ganz woanders der Rubel."
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STANDARD: Im Bundeswahlkampf steht die SPÖ in der Kritik, dass Kosten an Gewerkschaften und Pensionistenverbände ausgelagert werden. Rechtlich ist das Vorgehen in Ordnung, genauso die gestückelten Spenden von Heidi Horten an die ÖVP. Letzteres wurde von der SPÖ aber scharf kritisiert.

Ludwig: Die Frage ist: Welche Interessen sind mit Zuwendungen verbunden? Ich habe überhaupt kein Problem, wenn ich vom Pensionistenverband unterstützt werde, wo ich seit über 20 Jahren Mitglied bin. Dasselbe gilt für die Gewerkschaft, auch dort bin ich Mitglied. Und ich versuche Politik für die Arbeitnehmer und Pensionisten zu machen. Das ist transparent. Auch andere sollten dazu stehen, wenn sie Millionenspenden von der Industrie kriegen.

STANDARD: Es kommt also darauf an, von wem die Spende kommt?

Ludwig: Es kommt darauf an, dass man weiß, wer jemanden unterstützt. Es geht schließlich um Interessen in der Politik. Es wird bei der ÖVP so dargestellt, als ob sich die älteren Damen mit zehn Euro einbringen. Da rollt ganz woanders der Rubel. (David Krutzler, Rosa Winkler-Hermaden, 25.9.2019)