"Es gibt keinen Plan, ein europäisches Trägersystem zu bauen. Ich hätte das gern gehabt, bin aber mit meinem Vorschlag gescheitert", sagt Esa-Generaldirektor Jan Wörner.

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Der europäische Rover Exomars soll voraussichtlich in der Mars-Ebene Oxia Planum landen. Das Terrain ist wissenschaftlich vielversprechend.

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Die Europäische Weltraumorganisation (Esa) hat sich für die kommenden Jahre hohe Ziele gesteckt. Neben Erweiterungen des Erdbeobachtungsprogramms soll etwa das Weltraumteleskop Cheops mehr über vielversprechende Exoplaneten herausfinden. Auch eine eigene Mission zur Erforschung der Dunklen Energie und Dunklen Materie, die den Großteil der Masse im Universum ausmachen und dennoch völlig rätselhaft sind, ist geplant. Im Frühjahr 2021 soll zudem ein Roboter auf dem Mars landen. Für Esa-Generaldirektor Jan Wörner liegt der gesellschaftliche Nutzen all dieser Unternehmungen auf der Hand. Die Vorstellung einer menschlichen Kolonie auf unserem Nachbarplaneten hält er aber für gefährlich.

STANDARD: Im Sommer 2020 soll der europäische Rover Exomars zum Roten Planeten starten. Bei den jüngsten Tests versagten aber die Fallschirme. Muss die Mission verschoben werden?

Wörner: Nein, der Termin Mitte nächsten Jahres steht. Wir haben zwar ein Problem mit dem Fallschirmsystem gehabt, aber wir halten am Zeitplan fest.

STANDARD: Manche Leute sagen, solche Missionen kosten viel Geld, das vielleicht anderswo besser investiert wäre. Was halten Sie dem entgegen?

Wörner: Nein, Raumfahrt kostet nicht viel Geld. Ein Euro investiert in die Raumfahrt bringt insgesamt etwa sechs Euro zurück. Wenn wir verschiedene Bereiche genauer anschauen – Erdbeobachtung, Navigation -, da sind die Faktoren viel höher. Aber selbst wenn wir zur Internationalen Raumstation fliegen, bringt ein Euro fast das Doppelte zurück. Wir schießen ja kein Geld da rauf, sondern Arbeit, die auf der Erde Arbeitsplätze schafft. Aber ich will dazu noch etwas anderes sagen: Wir haben eine Umfrage unter europäischen Bürgerinnen und Bürgern gemacht, wie viel die Raumfahrt pro Kopf und Jahr kostet. Im Mittel haben die Leute 245 Euro angegeben. In Wirklichkeit sind es weniger als zehn Euro – das ist nicht viel Geld.

STANDARD: Wie viel Grundlagenforschung im All geht sich da aus?

Wörner: Ich spreche immer von der nahtlosen Innovationskette: Von der Grundlagenforschung bis zu einem Produkt muss es einen nahtlosen Weg geben, wir dürfen uns keinen Gap dazwischen erlauben. Manchmal sind es ja verrückte Dinge, die uns nach vorn gebracht haben. Wenn Sie 1925 gefragt hätten, was Albert Einsteins Relativitätstheorie für das tägliche Leben wert ist, wäre die Antwort gewesen: nichts. 1975 hätten das vielleicht schon ein paar Schlauköpfe anders gesehen, heute wissen wir: Ohne Berücksichtigung der Relativitätstheorie wäre Satellitenkommunikation nicht möglich. Und wenn wir einmal verstehen, was Schwarze Löcher, Dunkle Energie und Dunkle Materie sind – wer weiß, ob wir das nicht morgen im täglichen Leben benutzen können.

STANDARD: Die US-Weltraumbehörde Nasa hat einen starken Schwerpunkt auf die astronautische Raumfahrt gelegt. Was sind die Pläne der Esa?

Wörner: Die Europäer bezahlen für die astronautische Raumfahrt weniger als einen Euro pro Kopf. Das ist gar nichts. Wie alle Explorationsthemen werden wir die astronautische Raumfahrt auch künftig nur in internationalen Kooperationen machen, wir haben keinen Plan, ein europäisches Trägersystem zu bauen. Ich hätte das zwar gern und habe es vor ein paar Jahren auch vorgeschlagen, bin damit allerdings gescheitert. Aber wir können mit den Amerikanern, mit den Russen, vielleicht auch mit den Chinesen fliegen. Und das hat auch einen diplomatischen Wert – manchmal ist eine fehlende Möglichkeit auch eine Chance.

STANDARD: Wie sinnvoll ist es, statt Robotern Menschen ins All zu schicken?

Wörner: Ich denke, der Wert solcher Missionen wird total unterschätzt. Wir wissen mittlerweile, aus der astronautischen Raumfahrt sind viele Dinge entwickelt worden, die wir auf der Erde gut brauchen können. Nehmen wir etwa den Strampelanzug gegen plötzlichen Kindstod oder den Akkuschrauber – der ist erfunden worden für Astronauteneinsätze auf dem Mond. Und wir können natürlich durch medizinische Untersuchungen an Menschen auf der ISS ganz viel lernen.

STANDARD: Was zum Beispiel?

Wörner: Es gibt schon heute Osteoporose-Medikamente, die aus der Weltallerfahrung kommen. Ich bin sicher, dass das noch weitergehen wird, wir haben dort mit Fragen zu dem Blutdruck, dem Salzhaushalt oder dem Immunsystem zu tun. All das verändert sich in der Schwerelosigkeit, die Forschung dazu hat einen medizinischen Wert für Menschen auf der Erde. Aber nicht nur das: Es steckt ja offensichtlich auch tief in unserer DNA, dass wir das Unbekannte persönlich erleben und sehen wollen. Ich glaube, der Mensch wird es sich aus seiner Veranlagung heraus nicht nehmen lassen, auch den Mars zu betreten.

STANDARD: Wann könnte das Ihrer Ansicht nach passieren?

Wörner: Ich bin jetzt 65 und glaube nicht daran, dass ich noch erleben werde, dass es eine Kolonie auf dem Mars gibt. Wenn ich das Glück habe, noch 30 Jahre zu leben, werde ich vielleicht sehen, dass Menschen auf dem Mars landen. Ich persönlich bin aber gegen eine Kolonie. Stephen Hawking hat gesagt, es wird der Zeitpunkt kommen, an dem die Menschen die Erde verlassen müssen, weil der Planet nicht mehr bewohnbar ist. Das ist gefährlich – wir sollten solche Ideen nicht als Ausrede dafür hernehmen, uns nicht um unsere Erde zu kümmern.

STANDARD: Könnte es nicht eine Notoption sein?

Wörner: Auf dem Mars oder dem Mond müssten wir in Büchsen leben, und das möchte ich nicht – nicht für mich, nicht für meine Kinder, ich möchte gar nicht, dass Menschen in Büchsen leben müssen. Die können das im Urlaub machen, das nennt man dann Wohnwagen. Aber eingeschlossen zu sein, ein Leben lang, das kann ich nicht unterstützen. (David Rennert, 26.9.2019)