Wien – Um drei viertel sieben in der Früh wird es auf dem Wiener Großgrünmarkt schon ruhig – auch aus der 10.000 Quadratmeter großen Blumenhalle ist die meiste Ware bereits von Floristen abgeholt worden. Aber ehe die Großhändler zusammenpacken, bekommen sie noch Besuch: Sebastian Kurz geht von Stand zu Stand, fragt "Wie geht's?" und schüttelt Hände. Der ÖVP-Chef hat die Angewohnheit, den Kopf leicht zur Seite zu neigen und so den Eindruck zu vermitteln, dass er den Besuchten wirklich sein Ohr leiht.

Kurz tourt durch Wien – von den Problemen der Freiheitlichen weiß er nur aus der Zeitung.
Foto: APA/Fohringer

Nicht alle nutzen die Möglichkeit, dem Exkanzler ihre Sorgen zu erzählen, meist bekommt er nur ein "Danke, gut" zu hören. Dabei gibt es auf dem Großmarkt, der 1972 vom äußeren Naschmarkt an die südliche Stadtgrenze in Inzersdorf übersiedelt ist, genügend Probleme – die Händler leiden unter schwachen Internetverbindungen und unter starkem Regen, der durch die Dächer der veralteten Hallen tröpfelt. Sie beklagen die sprunghafte Erhöhung der Pachtgebühren, wenn ein Geschäft von einer Generation auf die nächste übergeht. Und speziell in der Fleischhalle wird über als schikanös empfundene veterinärmedizinische Kontrollen geklagt.

Aber die meisten Sorgen bekommt Kurz nicht zu hören, sie werden den ihn begleitenden Parteifunktionären erst nachher geklagt. Kurz ist da schon wieder weg. Exakt 30 Minuten sind für den Marktbesuch vorgesehen, nach 33 Minuten drängt der Pressesprecher zum Aufbruch, Kurz hat unmittelbar danach einen Live-Auftritt auf Ö3 – er kommt gerade noch rechtzeitig ins Studio. Mit im Handgepäck hat er immerhin die Unterlagen, die ihm Familie Holzhacker mitgegeben hat. Sie ist mit ihrem Handelsbetrieb seit 47 Jahren in Inzersdorf, wie der Seniorchef stolz erzählt hat, ehe er seine Sorgen mit dem Zufahrtsweg zu seiner Gärtnerei in Kagran ausgebreitet hat. Kurz hat versprochen, sich der Sache anzunehmen. Konkrete Zusagen kann er keine machen, er hat ja keine andere Funktion als die des ÖVP-Obmanns.

Wahlkampf im Freiwilligenbüro – Sackerl füllen, dem Parteichef applaudieren.
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Aber es trifft sich gut, dass er gleich als übernächsten Termin das sogenannte "Freiwilligenbüro", ein türkises Parteilokal in Kagran, besuchen wird. Dort kann man das Problem der Holzhacker-Gärtnerei zwar auch nicht gleich lösen, es ist nun jedoch vorgemerkt.

Aktuell aber ist Wahlkampf zu machen – Papiersackerln sind mit Wahlgeschenken zu füllen, Kugelschreiber auf Flyer zu klemmen. Applaus für Kurz, als er für einen Moment ins Büro kommt und "Wie geht's?" fragt.

Journalisten fragen, Kurz antwortet mit den Sätzen, die die Journalisten schon kennen.
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Dann spaziert der Tross zur U-Bahn-Station Kagraner Platz. Kurz geht vorneweg, begleitet von mehreren Kameras. Eine gute Gelegenheit für Journalisten, Fragen zu stellen – und ihre Fragen sind dieselben, die auch jene Passanten stellen, die sich nach dem "Wie geht's?" tatsächlich auf ein Gespräch einlassen und nicht nur Selfies machen.

"Wie geht's?"
"Bitte ein Selfie!"
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Auch die Antworten des Wahlkämpfers wiederholen sich mit und ohne Mikrofon. Fragt man ihn, wie sich die aktuellen Berichte über FPÖ-Skandale auf eine mögliche Koalition auswirken würden, sagt er, dass er "volle Aufklärung" fordere – aber da seien die FPÖ und die Justiz gefordert und nicht er.

Nein, ausschließen könne er keinen Koalitionspartner. Er sei auch gar nicht so siegessicher: Bei der EU-Wahl hätten SPÖ, Grüne und Neos zusammen 47 Prozent erreicht – wenn jede dieser Parteien auch nur einen Prozentpunkt zulege, werde die Kanzlerin Pamela Rendi-Wagner heißen.

Ab in den Untergrund: Kurz unterwegs zur U-Bahn am Kagraner Platz.
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In der U-Bahn erzählt ihm dann eine Frau von einer gut integrierten afghanischen Familie, die nach der Ablehnung ihres Asylantrags doch abgeschoben wurde. Journalisten bohren nach – aber auch da sagt Kurz, was er immer sagt: Konkrete Fälle kommentiere er nicht, aber Asylverfahren gehörten beschleunigt – und wer kein Recht auf Asyl habe, müsse eben wieder ausreisen. (Conrad Seidl, 26.9.2019)