Ein Tweet von Veli Kavlak lud zur Polemik ein.

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Yasar Ersoy fordert Politik des Wissens und Gewissens.

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Türkische Teamspieler salutierten nach dem EM-Qualifikationsspiel in Paris.

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Großen Vorbildern nachzueifern, kann zu erheblichem Ungemach führen. Nachdem türkische Teamspieler im EM-Qualifikationsspiel gegen Albanien (1:0) am vergangenen Freitag nach dem Torerfolg salutiert und also der in Syrien eingefallenen türkischen Armee gehuldigt hatten, fühlten sich Kollegen aus dem deutschen Amateurlager zur Nachahmung bemüßigt. In Bayern, Baden-Württemberg und Nordrhein-Westfalen wurden vereinzelt Spieler salutierend auffällig.

Empfindliche Strafen in Aussicht gestellt

Einige betroffene Vereine müssen sich vor Sportgerichten verantworten, der norddeutsche und der bayerische Fußballverband wiesen im Hinblick auf das kommende Fußballwochenende darauf hin, dass jeder Fall zur Anzeige gebracht werde. Empfindliche Strafen wurden in Aussicht gestellt. Auch in Österreich gilt im Fall des Falles das Verbot politischer Kundgebungen auf dem Platz. Der europäische Verband Uefa hat extra einen "Ethik- und Disziplinar-Inspektor" für derartige Fälle eingesetzt.

Nachdem türkische Internationale auch beim 1:1 gegen Frankreich am Montag in Paris nach dem Ausgleichtreffer salutiert hatten, sprang ihnen Sportminister Mehmet Muharrem Kasapoglu bei. Es habe sich lediglich um eine "schöne Geste" für die Soldaten und ihre Familien gehandelt. Als Beweis dafür, dass der Türkei wieder einmal übel mitgespielt werde, präsentierte Kasapoglu ein Foto, das den französischen Teamstürmer Antoine Griezmann salutierend vor Präsident Emmanuel Macron zeigt. Allerdings trug sich die Szene abseits des Platzes während der Aufnahme von Weltmeister Griezmann in die Ehrenlegion zu.

Kavlaks Steilvorlage

Türkischstämmige Fußballpersönlichkeiten, die per Twitter aus ihren Herzen keine Mördergrube machen wollten, löschten zum Großteil ihre einschlägigen Tweets bald wieder. Darunter auch Österreichs Ex-Teamspieler Veli Kavlak, dessen Auslassung FPÖ-Chef Norbert Hofer als Steilvorlage für Polemik begriff. Kavlak – der übrigens in Istanbul lebt – habe "in Österreich nichts verloren", Doppelstaatsbürgerschaften dürften nicht mehr vergeben werden. Hofers Vorgänger Heinz-Christian Strache hatte 2017 im Zuge der einschlägigen Aufregung Kavlak noch als Beispiel für einen legalen Doppelstaatsbürger bezeichnet.

Mehr als unglücklich über die gegenwärtige Diskussion ist Yasar Ersoy. Der Sozialarbeiter und Bestattungsunternehmer ist Präsident des FC Besiktas Wien, der seine Heimspiele zur Oberliga A auf der Anlage des Landstraßer Athletik Clubs im dritten Wiener Gemeindebezirk austrägt. Ersoy hat Spieler aus neun Nationen, "auch aus Syrien. Ich trage die Verantwortung, der Sport muss im Vordergrund stehen." Der Präsident des für sein soziales Engagement mehrfach ausgezeichneten Vereins versucht, die Politik vom Sport wegzuhalten. "Wenn der Spieler den Platz verlässt, ist er frei zu tun, was er will."

Mildernde Umstände und klare Regeln

Von der türkischen Armee salutierenden Spielern in Österreich ist Ersoy nichts bekannt, er gibt aber zu bedenken, dass es selbst innerhalb des türkischen Nationalteams Auffassungsunterschiede geben dürfte: "Einige haben salutiert, andere nicht." Für Österreich wünscht sich Ersoy eine "Politik des Wissens und Gewissens, nicht des Aufhetzens. Wir müssen das Gesellschaftsmosaik zusammenhalten."

Der Soziologe Kenan Güngör verweist darauf, dass die Türken im eigenen Land einem ungeheuren Druck zur Kriegssolidarität unterliegen. Ein Angriffskrieg werde als Verteidigung gegen eine Bedrohung dargestellt, auch Sportler seien zu proaktiver Deklaration angehalten, "dem kann man sich kaum entziehen". Diese "mildernden Umstände" gebe es für Diasporatürken nicht, sagt Güngör. "Ihre nicht legitimen Solidaritätsgesten für einen Angriffskrieg sind zu sanktionieren. Im Fußball gibt es dazu auch klare Regeln." (Sigi Lützow, 16.10.2019)