Von Menschen, anderen Primaten, Elefanten, Giraffen und Delfinen wissen Forscher, dass mehrschichtige Gesellschaftsformen bilden. Man spricht davon, wenn sich Individuen zu stabilen Gruppen zusammenschließen und vor allem zu ganz bestimmten anderen Gruppen Kontakt pflegen. Die Vermutung lag also nahe, dass ein großes Gehirn die Voraussetzung für die Bildung dieser Gesellschaften ist. Wissenschafter des Max-Planck-Instituts für Verhaltensbiologie in Konstanz sowie der Universität Konstanz haben das nun widerlegt: Sie konnten eben diese mehrschichtigen Gesellschaftsformen beim Geierperlhuhn (Acryllium vulturinum), einem Tier mit kleinem Gehirn, beobachten.

Acryllium vulturinum hat womöglich mehr Freunde als der Mensch.
Foto: James Klarevas

Es gibt zwar Vogelarten, die in Gruppen leben, diese sind aber entweder offen, langfristig nicht stabil oder territorial begrenzt mit spärlichem Kontakt zu anderen Gruppen. Geierperlhühner dagegen leben einen sehr starken Zusammenhalt, ohne dabei die Aggression gegenüber anderen Gruppen zu zeigen, wie sie bei anderen in Gruppen lebenden Vögeln charakteristisch ist – und das, obwohl sie ein relativ kleines Gehirn haben, selbst im Vergleich zu anderen Vögeln.

Über 400 Vögel beobachtet

Erstaunlich ist: Die in der aktuellen Ausgabe des Fachjournals Current Biology veröffentlichte Forschungsarbeit ist die erste jemals an dieser Vogelart durchgeführte Studie. Die Wissenschafter beobachteten ein Jahr lang die sozialen Beziehungen einer Population von über 400 erwachsenen Vögeln in einem Forschungsgebiet in Kenia und markierten dabei jeden einzelnen Vogel. Dabei wurde klar, dass die Population 18 verschiedene soziale Gruppen mit jeweils 13 bis 65 Individuen umfasste. Auffällig war, dass diese Gruppen stabil blieben, obwohl sie sich sowohl tagsüber als auch nachts regelmäßig mit einer oder mehreren anderen Gruppen überschnitten. Mithilfe von GPS-Sendern erfassten die Forscher die Position jeder einzelnen Gruppe.

Die Beobachtungen ergaben, dass sich die Gruppen nicht zufällig, sondern ganz gezielt miteinander vermischten. Sie zeigten auch, dass Interaktionen zwischen den Gruppen verstärkt zu bestimmten Zeiträumen des Jahres und um charakteristische Punkte der Landschaft herum stattfinden, heißt es in einer Aussendung der Max-Planck-Gesellschaft. "Meines Wissens nach ist dies das erste Mal, dass eine solche soziale Struktur bei Vögeln beschrieben wurde", so Danai Papageorgiou, Erstautor der Veröffentlichung und Doktorand am Max-Planck-Institut für Verhaltensbiologie. "Es ist schon bemerkenswert, Hunderte von Vögeln zu beobachten, die jeden Tag aus dem Schlafplatz kommen und sich perfekt in völlig stabile Gruppen aufteilen. Wie stellen sie das an? Das hat ganz offensichtlich nicht nur mit Intelligenz zu tun."

"Diese Entdeckung wirft eine Menge Fragen über die grundlegenden Mechanismen komplexer Gesellschaften auf: Welche Eigenschaften haben diese Vögel dazu gebracht, ein Sozialsystem zu entwickeln, das in vielerlei Hinsicht eher dem von Primaten gleicht als dem von anderen Vögeln", erklärt Damien Farine, maßgeblich beteiligter Wissenschaftler am Max-Planck-Institut für Verhaltensbiologie und dem Exzellenzcluster Centre for the Advanced Study of Collective Behaviour an der Universität Konstanz. "Mehrschichtige Gesellschaften bei Primaten, Elefanten und Giraffen könnten sich unter ähnlichen ökologischen Bedingungen wie das Geierperlhuhn entwickelt haben", wird Farine in einer Aussendung zitiert. (red, 5.11.2019)