Schreibt Romane und Gedichte – und übersetzt Ingeborg Bachmann aus dem Deutschen: Aleš Šteger, einer der wichtigsten Autoren Sloweniens.

Foto: Marko Lipus

Jeder reisende Dichter tut gut daran, das Gastland, dem er seine Anwesenheit aufzwingt, nicht auch noch übertrumpfen zu wollen. Er muss auch nicht vielseitiger oder erfindungsreicher sein als diejenigen, die ohnehin fremd sind im eigenen Vaterland. Wie zum Beispiel die orthodoxen Geistlichen, die in Solowki, in unmittelbarer Nähe des russischen Weißen Meeres, das Labyrinth einer entlegenen Gefängnisinsel spirituell verwalten.

Ohnehin sind Reisen, wie sie der Slowene Aleš Šteger (46) unausgesetzt, aber jedes Mal mit sorgfältig gespitztem Blei unternimmt, Krisensymptome. Sein neues "Logbuch der Gegenwart" (mit dem Untertitel "Aufbrechen") führt ihn, einen gelehrten Poeten der Moderne, der Bachmann, Benn oder Huchel aus dem Deutschen übersetzt oder Neruda und Vallejo aus dem Spanischen, in Notstandsgebiete und Randzonen.

Jede Ankunft markiert für ihn nicht einen Aufenthalt im Nächstliegenden, eher im fernab Gelegenen. Štegers Art der Welterschließung gleicht einem Hochrisikogeschehen. Keine Ankunft, die ihn vorschnell zur Ruhe kommen ließe. Stegers Zwischenaufenthalte gleichen eher Balanceakten: dem unerzwungenen Aufenthalt im Vorläufigen.

Schwund-Orte

Aleš Šteger hetzt förmlich durch Indien, durch Shanghai, durch die Oberlausitz (Bautzen), durch Ex-Gulag-Gebiete südlich des Polarkreises. Er balanciert waghalsig auf Schwellen, er durchkämmt Landstriche und Schwundorte und nimmt in Kauf, dass diese sich unausgesetzt, gleichsam unter der zersetzenden Wirkung seines fremden Blicks, in nichts auflösen. Kaum jemals wird der Leser dieser furiosen Aufzeichnungen Šteger, den Weltenbummler, endgültig angekommen erleben oder, im berühmten mehrfachen Wortsinn, gut und sicher "aufgehoben".

Durch das südwestliche Indien – Kochi im Bundesstaat Kerala – hetzt Šteger als gehorsamer Gast lokaler Dienstleister, der Rikschafahrer. Seine Wahrnehmungen werden vom ohrenbetäubenden Geschrei der indischen Krähen übertönt. Šteger kann es kaum fassen, das im Chaos der indischen Straßenviertel nicht mehr Menschen böse verunfallen. Aber begabt mit einer Art sechsten Sinnes, nimmt er auch die Archäologie der Dinge wahr: spürt, wie sie durch den Wust des Verfalls gleichsam nach oben drängen.

Seinen Aufenthalt in Schanghai nimmt Šteger zum Anlass, einen Essay zu schreiben über die Monstrosität einer Übergangsgesellschaft. In China staunt man nicht nur wegen der Optimierung der allgegenwärtigen Kontrollmechanismen Bauklötze. Man bemerkt – Ergebnis der Schreibkunst des Autors! –, wie die Zukunft in die Gegenwart unmerklich herübersickert. Als wäre im unsichtbaren Vorhang der Zeitenfolge eine Art Riss entstanden.

Klapperiges Fahrrad

Wer mitten unter uns lebt und dennoch inmitten fundamentaler Umwälzungen in der Zukunft angesiedelt ist, der sammelt in Shanghai auf dem klapprigen Fahrrad Zeitungspapier und verdient so seinen Lebensunterhalt. Šteger stößt als Flaneur aus dem kleinen südslawischen Land mit einer Flasche Bier an: "Auf all die Dichter und Papierproduzenten. Auf all die Revolutionen, Aktenindizes und roten Zahlen." Štegers Empathie aber ist die eines formidablen Ethnologen. Er sucht, wie alle wahren Forscher, nach den Splittern des unrettbaren, in tausend Teile zersprungenen Selbst.

Einen vielleicht noch sorgfältiger gewirkten roten Faden hätte man sich für die beispielhaft reichhaltige "Slowenische Literaturwoche auf der Buch Wien 2019" gewünscht. So treten Šteger und sein berühmter Kollege Drago Jančar am Donnerstag etwa zeitgleich in Wien auf, um ihre jeweils neuen Bücher vorzustellen: Ersterer in der Österreichischen Gesellschaft für Literatur, Letzterer in der Alten Schmiede in Wien (jeweils 19 Uhr).

Bereits vorher am nämlichen Tag gastiert Šteger auf dem Messegelände der Buch Wien (16 Uhr), nach ihm ist Mojca Kumerdej mit "Chronos erntet" zu erleben. (Ronald Pohl, 6.11.2019)