Edmund de Waal war Anlässlich der Ausstellungseröffnung "Die Ephrussis. Eine Zeitreise" am Dienstag im Jüdischen Museum Wien.

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Drei Generationen der de Waals, Nachkommen der Ephrussis: Benjamin, Edmund und Vikor de Wall wurden, wie rund 40 weitere Familienmitglieder, am Montag im Wiener Rathaus empfangen.

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Für Stadtchef Michael Ludwig (SPÖ) war es ein "historischer Tag", er sprach von einem "besonderen Ehrgefühl", das er empfinde – nicht zuletzt angesichts der "sehr dunklen schwarzen Kapitel in der Geschichte unserer Stadt".

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Die Ausstellung "Die Ephrussis. Eine Zeitreise" ist von 6. November 2019 bis 8. März 2020 im Jüdischen Muesum Wien zu sehen.

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Als einen "historischen Tag" bezeichnete Wiens Bürgermeister Michael Ludwig das Treffen der Nachkommen der Familie Ephrussi am Montag im Wiener Rathaus. Erstmals seit der Vertreibung der Familie im Jahr 1938 durch die Nationalsozialisten traf ein so großer Teil der Nachfahren der Ephrussis, der de Waals / Bauers in Wien anlässlich der Ausstellungseröffnung Die Ephrussis. Eine Zeitreise zusammen. Das gleichnamige Palais am Wiener Universitätsring sei ein "sichtbares, in Stein gegossenes Dokument dieser Familie" und "leider auch für den Umgang mit dessen Besitz", sagte der SPÖ-Politiker.

Das Gebäude wurde für den Bankier Ignaz von Ephrussi in den Jahren 1872/73 erbaut, 1938 "arisierten" es die Nationalsozialisten. Anfang der 1950er-Jahre wurde der Bau am Ring restituiert. Doch immer noch tauchen Kunstwerke auf, die einst den Ephrussis gehörten. Der jüngste Restitutionsfall kam erst heuer im Zuge der Arbeiten an der Ausstellung ans Licht, als ein Gemälde von Franz Adam im Heeresgeschichtlichen Museum entdeckt wurde, das nun der Familie zurückgegeben wurde.

Die Ausstellung im Jüdischen Museum Wien, die ab heute, Mittwoch, zu sehen ist, begibt sich auf die Spurensuche der Reisen der Familie. Neben dem Familienarchiv, das die de Waals 2018 dem Museum geschenkt haben, sind 157 Netsukes, kleine geschnitzte japanische Figuren, essenzieller Teil der Ausstellung. Sie wurden dem Museum als Leihgabe für zehn Jahre zur Verfügung gestellt. Die Figuren, die auch eine wichtige Rolle in Edmund de Waals Buch "Der Hase mit den Bernsteinaugen" spielen, ziehen sich als Leitmotiv durch die einzelnen Räume der Ausstellung, die auf vielfältige Weise durch eine europäische Familiengeschichte führen.

STANDARD: Vor wenigen Monaten sagten Sie in einem Interview, Ihre Gefühle für Wien seien ambivalent. Welche Eindrücke haben Sie jetzt angesichts der Ausstellung und des großen Familientreffens in Wien?

De Waal: Ich bin überwältigt. Es ist das erste Mal seit 1938, dass mehr als drei meiner Familienmitglieder zur selben Zeit in dieser Stadt sind. Unsere Familie und unsere Geschichte auf diese spezielle Art zurückzubringen ist etwas, das ich nie für möglich gehalten hätte. Meine Gefühle Wien gegenüber werden immer ambivalent sein. Man kann die Vergangenheit nicht auslöschen. Aber man kann etwas Positives daraus machen. Das ist, was durch die Ausstellung und durch das Familientreffen nach über 80 Jahren geschieht.

STANDARD: Ist angesichts dessen, was Ihrer Familie widerfahren ist, so etwas wie Wiedergutmachung überhaupt möglich?

De Waal: Ein Aspekt ist die Restitution der Dinge, die uns 1938 geraubt wurden. Doch das ist nur ein kleiner Teil. Bedeutender ist für mich, was unsere Familie umgekehrt Wien geben kann: die Geschichte zurückzubringen und etwas in Wien und der Politik Österreichs zu ändern. Das ist viel wichtiger, als darauf zu warten, dass ein Anwalt ein Kunstwerk zurückgibt.

STANDARD: War das der Grund dafür, dass Sie Ihre Sammlung gerade dem Jüdischen Museum in Wien überlassen haben?

De Waal: Viele andere Museen waren daran interessiert, und ich wurde heftig dafür kritisiert, die Sammlung nach Wien zu geben. Doch diese Schenkung ist ein politisches Statement. Dabei geht es nicht nur um das, was 1938 passiert ist, sondern auch um heute.

STANDARD: Für Ihr Buch "Der Hase mit den Bernsteinaugen" haben Sie das Palais Ephrussi besucht. Damals hatte es noch die Adresse Dr.-Karl-Lueger-Ring 14. Der Straßenname wurde wegen des antisemitischen Namensgebers geändert. Halten Sie es für richtig, auf diese Weise Erinnerungspolitik zu betreiben?

De Waal: Ich finde, es war großartig, den Namen dieses Ringabschnitts, wo meine Familie lebte, zu ändern und ihm den Namen Luegers zu entziehen. Die Diskussionen um solche Umbenennungen sind ähnlich wie die über Konföderiertendenkmäler in den USA, die für viele Symbole der Sklaverei und der Diskriminierung sind. Man muss die Geschichte immer wieder neu schreiben. Dinge umbenennen, aber auch Erinnerungen in die Stadt zurückbringen. Als ich mein Buch geschrieben habe, wusste kaum jemand, wo das Palais Ephrussi liegt.

STANDARD: Sie sagten, genau jetzt seien die richtige Zeit und der richtige Ort für diese Ausstellung. Warum jetzt?

De Waal: Weil mein Vater in Wien ist. Er ist beinahe 91 Jahre alt. Aber auch wegen dem, was gerade in Europa passiert. Wir sehen wieder antisemitische Demonstrationen, Migranten, die in Lagern untergebracht werden, Flüchtlinge, die an der Grenze abgewiesen werden, Bücherverbrennungen. Es ist der richtige Moment, um wieder darüber zu sprechen, was es bedeutet, ein Flüchtling zu sein.

STANDARD: Sehen Sie Parallelen darin, wie Flüchtlinge im Zweiten Weltkrieg behandelt wurden und wie sie es heute werden?

De Waal: Einige Mitglieder der Familie wurden im Holocaust ermordet, was auch daran lag, dass ihnen die nötigen Dokumente für die Ausreise fehlten. Wer einreisen darf und wer abgewiesen wird, ist letztlich immer auch eine Frage der Dokumente, der Antragsstellung, der Quoten und auch des Glücks, wer es über eine Grenze schafft und wer nicht. Insofern gibt es viele komplizierte Parallelen zwischen den späten 1930er-Jahren und heute. Wir leben in wirklich düsteren Zeiten. Ich hätte nie gedacht, dass Politiker zu meinen Lebzeiten im Zusammenhang mit Flüchtlingen von "Ungeziefer" oder von "unerwünschten Personen" reden würden, vor denen wir uns angeblich schützen müssen.

STANDARD: Um Flüchtlingen zu helfen, haben Sie einige Ihrer Netsuke verkauft.

De Waal: Das Besondere an der Netsuke-Sammlung ist, dass sie immer wieder ihren Ort gewechselt hat, also selbst etwas Migratorisches hat. Als unsere Familie beschloss, den Nachlass dem Jüdischen Museum Wien zu schenken, hatten wir die Gelegenheit, mit dem Verkauf eines Teils der Sammlung zur Flüchtlingshilfe beizutragen. Also haben wir 79 Figuren versteigern lassen und den Erlös von rund 100.000 Pfund zur Unterstützung unbegleiteter Flüchtlingskinder gespendet.

STANDARD: Eine der wenigen "guten" österreichischen Personen in "Der Hase mit den Bernsteinaugen" ist Anna, die die Netsuke über den Krieg für die Familie aufbewahrt. Wie es scheint, hat es diese Anna in dieser Form nicht gegeben, wie der Historiker Oliver Rathkolb in seinem Beitrag für den Katalog schreibt. Hat sich da Ihre Familie eine "gute Österreicherin" ausgedacht, oder glauben Sie, dass sie tatsächlich existiert hat?

De Waal: Ich weiß es nicht. Ich kannte nur die Erzählung meiner Großmutter. Vielleicht gab es einfach das Bedürfnis, etwas Gutes in dieser Geschichte der Netsuke in Wien vorkommen zu lassen. Wer diese Anna wirklich war, ist – so wie vieles andere in der Familiengeschichte – ungelöst. Oliver Rathkolb hat ihr mit seinen Recherchen eine neue, komplizierte Facette hinzugefügt.

STANDARD: Ihr Vater will die österreichische Staatsbürgerschaft beantragen. Wieso ist das für Ihre Familie so wichtig?

De Waal: Der Großvater meines Vaters ist 1945 in England als Staatenloser gestorben, nachdem ihm die österreichische Staatsbürgerschaft entzogen worden war. Für meinen Vater ist das ein historisches Unrecht. Auch ist er wütend über den Brexit. Er ist Europäer – mehr als alles andere. Dass ihm nun nicht mehr erlaubt sein könnte, Europäer zu sein, ist für ihn eine schreckliche Vorstellung.

STANDARD: Das ist bei Ihnen vermutlich ähnlich?

De Waal: Natürlich. Die Geschichte meiner Familie handelt davon, wie sie zwischen Ländern gereist ist. Mein Urgroßvater wurde in Odessa geboren, kam nach Paris, wuchs in Wien auf und starb in England. Genau das ist für mich Europa: Immer wieder Grenzen zu überqueren. Und das ist es auch, wofür diese Ausstellung steht.

STANDARD: Ihre Kunst und Ihre eigenen Ausstellungen sind in den letzten Jahren "politischer" geworden, wie etwa Ihre jüngste Arbeit über die Bibliotheken, die aufgegeben werden mussten.

De Waal: Das stimmt. Die Ausstellung über die "verlorenen Bibliotheken" beginnt in drei Wochen in Dresden. Es ist kein Zufall, dass die Ausstellung dort ihre Premiere hat, da in Dresden ja auch die Bücherverbrennungen 1933 begannen und die Stadt heute auch eine Art Machtzentrum für die neue Rechte in Deutschland ist. Alles, was ich tun kann, besteht darin, Dinge zu machen und Dinge zu schreiben und zu hoffen, dass sie etwas bewirken. (Oona Kroisleitner, Klaus Taschwer, 6.11.2019)