Gibt es ein Thema, das Türkis und Grün schon einmal mit gegenseitigem Vertrauensvorschuss durchs Parlament bringen können – oder geht da ohnehin gar nichts?

Foto: Matthias Cremer

Im Parlamentsgebäude, das gerade umgebaut wird, ist dieses Zimmer nicht vorgesehen, auch nicht nach der Renovierung: Der "koalitionsfreie Raum" ist ja bloß ein Sinnbild für die Freiheiten, die die Mandatare kraft der Volkswahl genießen, aber (fast) nicht nutzen. Sie könnten, wenn sie sich trauten, Entschließungen und Gesetzesvorschläge einbringen, dafür Mehrheiten suchen und damit die künftige Regierungsarbeit lenken.

Denn die aktuelle Regierung, die sich selbst als Übergangslösung sieht und vom Bundespräsidenten auch als solche gedacht war, hält sich mit eigenen Initiativen zurück – was von den Österreicherinnen und Österreichern in Umfragen recht positiv bewertet wurde. In einer Regierung, die nicht gestaltet, wird nicht gestritten – dass Wichtiges dabei liegenbleibt, fällt weniger auf.

Streit würde sich lohnen

Allerdings gäbe es vieles, über das zu streiten lohnen würde. Zwischen dem Misstrauensantrag gegen die Regierung Kurz Ende Mai und der Wahl Ende September hat es diesen Streit auch gegeben. Und zwar dort, wo er der Verfassung gemäß hingehört: im Parlament. Eben in jenem koalitionsfreien Raum, in dem ausnahmsweise Beschlüsse gefasst wurden, die die künftigen Regierungen und die künftigen Budgets teilweise massiv belasten werden. Vor der Wahl scheint so etwas akzeptabel zu sein – auch wenn Ökonomen es bedenklich finden, dass ein in Auflösung befindliches Parlament finanzielle Belastungen für die kommende Periode beschließt.

Aber jetzt? Noch ist nicht einmal fixiert, dass ÖVP und Grüne miteinander Regierungsverhandlungen führen werden – und noch weniger ist absehbar, ob Verhandlungen in dieser Konstellation Erfolge bringen werden oder ob Sebastian Kurz es mit einer anderen Partei versuchen wird. Kann also noch ziemlich lange dauern.

Das betrifft aber nur die Regierungsebene – im Nationalrat dagegen gibt es 183 frischgewählte Mandatare, denen es freistünde, jenseits von festen Koalitionen Themen zu setzen. Dies mit mehr Legitimation als ihre Vorgänger im von Mai bis September offenstehenden koalitionsfreien Raum: Vorgaben, die jetzt beschlossen würden, beträfen ja ein Parlament und eine Regierung, die für die kommenden fünf Jahre Verantwortung zu tragen haben.

Selbstbewusstsein der Abgeordneten und der Parlamentsklubs

Natürlich bedürfte es dazu eines entsprechenden Selbstbewusstseins der Abgeordneten und der Parlamentsklubs – inklusive jener Fraktionen, die gerade in Regierungsverhandlungen stehen. Es würde auch Augenmaß erfordern: Gibt es ein Thema, das Türkis und Grün schon einmal mit gegenseitigem Vertrauensvorschuss durchs Parlament bringen können – oder geht da ohnehin gar nichts?

Umgekehrt: Gibt es ein Thema, für das es eine Mehrheit jenseits von Türkis-Grün gibt – und würde ein solcher Beschluss die Regierungsverhandlungen unmöglich machen?

Schwer zu sagen. Risikoscheu, wie die heimische Politik nun einmal ist, wird das auch kaum ausprobiert werden, bevor eine Koalition gebildet ist. Das ist insofern schade, als man bei einer künftigen Regierung – egal ob sie türkis-grün, türkis-rot oder allenfalls doch wieder türkis-blau gefärbt ist – wohl nicht von fünf Jahren Harmonie in allen Fragen wird ausgehen können. Es wird Themen geben, wo Abstimmungen aus Gewissensgründen oder Parteiräson freigegeben werden müssen. Ohne dass die jeweilige Regierung zerbricht.

Man könnte schon einmal üben. (Conrad Seidl, 7.11.2019)