Corinna Harfouch: "Ich könnte nicht behaupten, dass ich diese Figur restlos verstehe."

Constantin Film

Eine große Rolle: So könnte man wohl das bezeichnen, was Corinna Harfouch in dem neuen Film von Jan-Ole Gerster vorgefunden hat. In Lara spielt sie eine Frau von sechzig Jahren, die an ihrem Geburtstag mit aller Welt im Hader zu liegen scheint.

Die Darbietung passt zum Image von Harfouch, die häufig kühle Schönheiten spielt. Hier aber geht sie noch ein Stück weiter: "Lara bleibt ein Geheimnis. Ich könnte nicht behaupten, dass ich sie restlos verstehe. Sie weiß schon sehr viel von Schmerz und Mauern und Masken. Mich fasziniert ihr Aufrechtsein, und dass es ihr scheinbar gar nichts ausmacht, dass die ganze Welt sie nicht mag."

Man könnte Lara als eine negative Identifikationsfigur bezeichnen. Nicht viele Filme riskieren so etwas: von einem Menschen zu erzählen, der schwer zu mögen ist. "Da braucht es für eine Schauspielerin eine Konstellation. Ich kann etwas anbieten und auch dafür kämpfen, aber der Film muss dafür eine Sprache finden."

Streben nach Perfektion

Die Sprache wurde Harfouch von Jan-Ole Gerster angeboten. Er wurde im deutschen Kino 2013 mit dem Berlin-Film Oh Boy auf einen Schlag berühmt und hat sich dann einige Jahre Zeit gelassen für sein zweites Projekt, für das er nun ein Drehbuch des gebürtigen Slowenen Blaž Kutin adaptierte. "Jan-Ole war ausschlaggebend", erzählt Harfouch. "Wenn ich ganz allein auf das Buch gestoßen wäre, wäre es gut möglich, dass ich es nicht gemacht hätte. Es hat mich berührt, dass er sich für so eine ältere Frau interessiert hat. Das hat mich beinahe konsterniert, und ich wollte wissen, was es damit auf sich hat."

Harfouch spielt derzeit Theater in Hannover, Orlando nach dem Roman von Virginia Woolf. Das Gespräch über Lara findet deswegen telefonisch statt, sie wirkt dann aber in keiner Sekunde gehetzt, sondern man hört auch über die fernmündliche Distanz, wie sie sich um jede Formulierung bemüht.

Was Mutter und Sohn verbindet

Lara geht weitgehend allein durch diesen Tag in Berlin, an dem sie 60 Jahre alt wird und an dem ihr Sohn Viktor eine Komposition zur Uraufführung bringen wird. Musik ist das, was Mutter und Sohn verbindet und stärker noch trennt. Musik ist die Instanz, an der Lara alles misst. "Es gibt eine Szene im Film, da zerbricht Lara einen Geigenstock, sie macht da etwas Ungeheuerliches, gerade für eine Musikerin." Harfouch wollte die Szene erst nicht spielen, ließ sich dann aber überzeugen. "Es ist tatsächlich ein schrecklicher Moment, aber er ist auf eine Weise richtig, denn es ist ein gnadenloser Moment."

Auf eine spannende Weise erzählt Lara nicht zuletzt vom Verhältnis dieser zwei Künste: der darstellenden Kunst und der Musik. "Wir sehen an Lara, was Kunst mit einem Menschen machen kann. Das Streben nach Perfektion in der Schönheit, nach Klang ist für sie alles. Wenn sie sagt, sie hätte es nie ganz nach oben geschafft, meint sie wohl eher ihren eigenen Anspruch, einen Ausdruck zu finden. Sie hätte einmal in ihrem Leben eine Instanz außerhalb ihres Anspruchs gebraucht." Nach einer Pause ergänzt Harfouch: "Eigentlich ist das tragisch."

Spannender Nebenaspekt

Wie hält sie es selbst mit der Musik? Die Frage liegt nahe, und es überrascht nicht, dass auch Corinna Harfouch sich an dieser Kunst misst, über die man so wenig verfügen kann. "Ich habe eine starke Beziehung zur Musik. An jedem Morgen, an dem ich dazukomme, höre ich Musik. Das ist meine Andacht, dazu bewege ich mich ein bisschen. Mein Traum wäre es, eher Tänzerin zu sein und einfach den Körper mit der Musik zu kombinieren."

Die Rolle von Lara hat noch einen spannenden Nebenaspekt. Sie ist eine typische Westberlinerin. Harfouch hingegen stammt aus der DDR. Sie will die Unterschiede allerdings nicht groß betonen. Als das Gespräch in einem weiteren Sinn auf die Wende, die deutsche Wiedervereinigung und auf das Zusammenwachsen der "alten" und der "neuen" Bundesländer kommt, wird sie leidenschaftlich.

"Ich lebe auf dem Land. Der Stolz, den ein Mensch nun einmal braucht, der bezieht sich dort total darauf, dass man Ossi ist. Dass man das Leben ‚wirklich‘ kennengelernt hat in all seiner Härte. Die Leute glauben, sie können viel mehr, weil sie nicht alles ‚geschenkt bekommen haben‘. Dummerweise ist in der Einigungs phase so viel blödes Zeug passiert."

Entwertete Ostdeutsche

Harfouch meint die vielen Entwertungserfahrungen, die Ostdeutsche mit ihren Berufsabschlüssen, zum Teil sogar mit ihren Führerscheinen machen mussten. "Das ergibt insgesamt eine Gemengelage. Für die Landbevölkerung wird auch nicht gesorgt, es gibt zum Beispiel nur ein ganz ungenügendes Verkehrsnetz da draußen, das liegt alles ziemlich im Argen. Diese Mischung aus gebrochenen Biografien und gebrochenem Stolz, das hat nichts Gutes angerichtet."

Vor wenigen Tagen feierte Corinna Harfouch ihren 65. Geburtstag. Sie kann auf ein reiches, glückliches Leben zurückblicken, ihre Familie ist weitverzweigt, einer ihrer Söhne ist Komponist, einer Schauspieler.

Schwer zu organisiseren

Kommen die auch ab und zu einmal alle zusammen? "Wir alle arbeiten so viel. Das ist schon schwer zu organisieren. Zum Geburtstag stehe ich meistens auf der Bühne, das war auch beim 65. neulich so. Aber wir versuchen natürlich uns nicht zu verlieren, und beim nächsten runden Geburtstag werde ich wieder einen Versuch machen, alle zusammenzukriegen."

Das ist durchaus vergleichbar mit Lara, auch wenn die es so angeht, dass niemand etwas von ihren guten Absichten merkt. (Bert Rebhandl,8.11,2019)