Experten kritisieren die langsame Herangehensweise bei der Pflege, Prävention werde stark vernachlässigt.

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Im Wahlkampf überschlugen sich die Parteien noch mit Forderungen, wie sie Pflege in Zukunft organisieren wollen. Knapp zwei Monate nach dem Wahltag ist es deutlich stiller geworden. Auch bei den türkis-grünen Regierungsverhandlungen spielt das Thema keine zentrale Rolle.

Sozialministerin Brigitte Zarfl will das ändern, zumindest auf subtile Weise. Denn sie legt großen Wert darauf, ihre Rolle als Übergangsministerin nicht politisch auszulegen. Sie will verwalten und keine Politik betreiben. Die beiden Studien, die sie zum Thema Pflege präsentierte, sollen für eine künftige Regierung als Grundlage dienen. Denn der Pflegebedarf werde sich in den kommenden zehn Jahren verdoppeln.

Vergleich mit anderen Staaten

Das Institut für Höhere Studien (IHS) untersuchte die Finanzierung der Langzeitpflege, indem die Forscher und Forscherinnen Daten aus vergleichbaren europäische Wohlfahrtsstaaten heranzogen. Fazit von IHS-Chef Martin Kocher: Die Umstellung auf ein System, das durch Sozialversicherungsbeiträge finanziert wird, sieht er „nicht als die optimale Lösung“. Studienautorin Monika Riedel erläutert, warum das österreichische Modell einer steuerfinanzierten Pflege stabiler ist. Steuern seien im Gegensatz zu Sozialversicherungsbeiträgen nicht zweckgebunden. Der Staat habe dadurch mehr Spielraum, auch in Krisenzeiten.

Laut Riedel ist der Nachteil einer Pflegeversicherung, dass bei hoher Arbeitslosigkeit auch die Beiträge für die Versicherung entfallen. Hier müsste dann erst recht der Staat Geld zuschießen, um die laufenden Kosten zu decken.

Konsequenzen einer Umstellung

Obwohl Riedel die im Wahlkampf ventilierten Vorschläge der Parteien nicht beurteilen wollte, erklärte sie, welche Konsequenzen eine Umstellung auf eine Pflegeversicherung hätte. Für diese als Säule der Sozialversicherung setzte sich in den vergangen Monaten nur die ÖVP ein. Kommt es zu einer Umstellung, müsse genau geregelt werden, für welche Leistungen die Sozialversicherung zuständig sei. Derzeit ist der Bund für Geldleistungen, wie Zuschüsse für eine 24-Stunden-Betreuung zuständig, die Länder hingegen für Sachleistungen. Außerdem dürften nicht nur Arbeitseinkommen herangezogen werden, auch Kapitalerträge seien eine Möglichkeit. Nur so könnten negative Effekte abgefedert werden.

Riedel fordert außerdem, Präventionsmaßnahmen zu verstärken. Vor allem bei Demenz werde viel zu wenig probiert.

Anstieg bei Pflegebedarf

Derzeit gibt Österreich zwischen 1,3 und 1,9 Prozent des Bruttoinlandsprodukts für Pflege aus. Brauchen aber mehr Menschen Pflege, steigen nicht nur die Kosten, sondern auch der Bedarf an Pflegekräften. Wie groß dieser in den kommenden Jahren sein wird, haben Forscher der Gesundheit Österreich errechnet. Insgesamt 75.500 Pflegekräfte werden laut Studie in den nächsten zehn Jahren benötigt – diese sollten aber unterschiedlich ausgebildet sein. Etwa 41.800 diplomierte Pflegekräfte werden gebraucht. Im Bereich der Pflegeassistenz gibt es einen Bedarf an 25.200 Personen. Bei Heimhilfen, die die kürzeste Ausbildungszeit haben, gehen die Autoren von einem Bedarf von 8700 Personen aus.

Warum diese Zahlen entscheidend sind, erklärt Studienautor Herwig Ostermann damit, dass rund ein Drittel der Pflegekräfte bereits über 50 Jahre alt sei. Es stehe also bald eine Pensionierungswelle bevor, während die Zahl der Pflegebedürftigen steige.

Rückenwind für Zarfl

Sozialministerin Zarfl will daher ein Bündel an Maßnahmen. Der Beruf und das Arbeitsumfeld müssten attraktiver gemacht werden. Gleichzeitig müssten die Menschen aber auch im Beruf gehalten werden.

Nicht nur Zarfl, sondern auch Wirtschaftskammer, Hilfswerk und Arbeiterkammer fordern von der Politik rasches Handeln. Die Neos pochen auf eine Pflegereform, hier solle die Sozialministerin Vorbereitungen treffen. (Marie-Theres Egyed, 25.11.2019)