Jan Wehn, Davide Bortot, "Könnt ihr uns hören?". 20,– Euro / 464 Seiten. Ullstein fünf, Berlin 2019
Cover: Verlag

Ich habe in meinem Leben genug Ratgeberkolumnen gelesen, um zumindest eines zu wissen: Man muss nicht alles verstehen, um Verständnis zu signalisieren. Sie haben zum Beispiel pubertierende Kinder, die den ganzen Tag nur Deutschrap hören?

Sie wissen nicht wirklich, was sie davon halten sollen? Und was kann man den Gschroppn nun zu Weihnachten schenken, das für beide Parteien nicht peinlich aka "cringy" ist?

Könnt ihr uns hören? Eine Oral History des deutschen Rap könnte ein sinnvolles Geschenk darstellen. Die Journalisten Jan Wehn (Spex, De:bug u. a.) und Davide Bortot, der das maßgebliche Hip-Hop-Magazin Juice einige Jahre lang leitete, haben mit mehr als 100 Rappern, Rapperinnen sowie anderen Hip-Hop-Auskennern und -Auskennerinnen gesprochen.

Anhand dieser Interviews wird die Geschichte von Deutschrap von den Anfängen bis zum Status quo nachgezeichnet. Der chronologischen Gliederung in kurze Kapitel können auch Menschen folgen, deren Aufmerksamkeitsspanne sich in Zeiten von Twitter gebildet hat.

Vielschichtigkeit

Kurze Statements einzelner Akteure und Akteurinnen wechseln einander ab – es handelt sich also nicht um Frage-Antwort oder Gruppentherapie; tatsächlich wirkt es, als wären mit allen Einzelgespräche geführt worden, die dann zerstückelt an die passenden Stellen kuratiert wurden – und das sehr gut.

So ergeben sich einander ergänzende als auch voneinander abweichende Einschätzungen, Erinnerungen und Perspektiven auf ein Genre, das eigentlich keines ist. Deutschsprachiger Hip-Hop wird in einer Vielschichtigkeit abgebildet, die oft medialen Verkürzungen und Zuspitzungen zum Opfer fällt. Auch Themen wie Sexismus, Antisemitismus, Rassismus werden von der Szene selbst kritisch reflektiert.

Vorurteile beseitigen

Könnt ihr uns hören? zeichnet den Weg von Deutschrap als einem Hobby von ein paar Nerds zu der aktuell so erfolgreichen Musik nach. Man begegnet Protagonisten, die putzen gingen, nur um sich ihre erste MPC zum Beatproduzieren zu kaufen, und anderen, denen schon nach einem Hit Plattenverträge hinterhergeworfen wurden.

Nicht nur musikalische, sondern auch ideologische Welten prallen aufeinander. Könnt ihr uns hören? funktioniert aber auch als Zeilenkommentar zu einer "Playlist", die sich aus dem Lesen ergibt. Die Meilensteine, die wichtigsten Alben und Tracks werden besprochen, und gerne hört man die ein oder andere Nummer im Hintergrund, während ihre Entstehung – oft von den Machern selbst – beschrieben wird.

Könnt ihr uns hören? liest sich angenehmer mit etwas Vorwissen, aber auch gänzlich Unbeleckte werden darin Themen finden, die auch abseits von Hip-Hop, von Musik im Allgemeinen relevant sind, und sei es nur die Suche nach der eigenen Stimme, der eigenen Identität.

Kann dieses Buch ein paar Vorurteile beseitigen? Ja! Es ist kurzweilig, spannend oft sehr lustig, manchmal lächerlich, dann wieder selbstironisch, meistens klug und lehrreich. Und sollte Ihr Kind es dann doch peinlich finden, lesen Sie es einfach selbst. (Amira Ben Saoud, 19.12.2019)