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Der schwedische König Carl Gustaf (re.) überreicht Peter Handke den begehrten Preis.

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In Stockholm hielten bereits am Nachmittag Handke-Kritiker eine Mahnwache ab, "friedliche Präsenz" zeigten dagegen seine Unterstützer.

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Der diesjährige Literaturnobelpreisträger sorgte bezüglich seiner Aussagen zum Jugoslawienkrieg für großen Wirbel

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"Friedliche Präsenz" für Handke am Nachmittag vor dem Konzerthaus, wo die Nobelpreise übergeben wurden.

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Kundgebung gegen den Preis für Handke am Norrmalmstorget.

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Stockholm – Normalerweise werden auf dem Platz vor dem Stockholmer Konzerthaus Blumen verkauft, an manchen Ständen mischen sich darunter auch Schwammerln. Ihretwegen ist Pilzesammler Peter Handke am Dienstag aber nicht dorthin gekommen. Der Markt hatte in Vorbereitung der Nobelpreiszeremonie zu und Handke anderes zu erledigen: Am frühen Abend bekam der Autor in einem fünf Minuten dauernden Prozedere vor 1560 geladenen Gästen im Konzerthaus von Schwedens König Carl XVI. Gustaf feierlich die Nobelmedaille für Literatur und eine zugehörige Urkunde ausgehändigt.

Antinationale Gesinnung

Der Vorsitzende des Nobelkomitees der Schwedischen Akademie, Anders Olsson, würdigte Handke davor: Er erkunde in seinem Schreiben die Peripherie, den Lärm des nachbarlichen Rasenmähers gleich wie die Geräusche von Tieren. Beginnend mit der Publikumsbeschimpfung hätten Handkes Texte die Sehnsucht, die Welt wahrzunehmen und anders zu beschreiben. Dezent adressierte Olsson die Kritiker der Kür Handkes: Aufgrund seiner teils slowenischen Abstammung und der Nazivergangenheit Österreichs sei dessen Gesinnung antinational.

Die Zeremonie in Stockholm.

So festlich der Saal dekoriert war, glänzte wegen der altbekannten Äußerungen Handkes zum Jugoslawienkrieg nämlich nicht alles. Wie schon in den acht Wochen seit Handkes Verkündung als Preisträger trudelten dazu bis zuletzt kritische Stimmen vom Balkan ein. Aus Protest nicht an der Verleihung am Dienstag nahmen wie angekündigt die Botschafter vom Kosovo, Albanien, Kroatien und der Türkei teil. Deren Präsident Tayyip Erdogan, dem Kritiker selbst Menschenrechtsverletzungen vorwerfen, nannte Handke etwa "rassistisch". Peter Englund vom Nobelkomitee boykottierte nach den bisherigen Veranstaltungen der Nobelwoche auch diesen Termin, er empfände seine Teilnahme als "grobe Heuchelei".

Drei Frau starke Mahnwache

Ab 14 Uhr versammelten sich indes bei eisigen Temperaturen Protestierende für und gegen die Auszeichnung Handkes vor Ort, wenn auch in sehr überschaubarer Zahl. Die deutsche Gesellschaft für bedrohte Völker forderte mit einer dreiköpfigen Mahnwache eine Entschuldigung Handkes bei den Opfern von Srebrenica. Jasna Èauševiæ von der Gruppe beschäftigt sich seit den 1990ern mit Handkes Jugoslawiensicht und übersetzte damals auch Zeugenaussagen für das Kriegsverbrechertribunal in Den Haag. Die Auszeichnung Handkes sieht sie als einen "Schaden für den Ruf der gesamten zivilisierten Welt". Wenn Handke behaupte, er komme von Tolstoi und Cervantes, so komme er genauso von Miloševic und Karadžic.

Für Handke bezogen indes Unterstützer aus Serbien und der Republika Srbska Stellung – nicht zum Protest, sondern zwecks einer "friedlichen Präsenz" (DER STANDARD berichtete). Parolen skandierte auch hier niemand. Taschen mit Handke-Konterfei in Händen, stellten sich die Männer und Frauen stattdessen am Rande der Polizeiabsperrung und der eintreffenden Gäste für die Medien auf. Die im Vorfeld angekündigten 50 Personen ließen sich bei weitem nicht zählen. Man habe kein Aufsehen bei Handkes Gegnern erregen wollen und sei daher in kleinerer Zahl gekommen, sagte einer der Organisatoren.

Protest der Überlebenden

Ohne Aufhebens verlief ab 18 Uhr auch die mit ein paar Hundert Teilnehmenden größere Kundgebung gegen Handke. Überlebende des Massakers von Srebrenica, die bosnisch-deutsche Literaturwissenschafterin Alida Bremer, Elke Schmitter vom Spiegel sowie weitere Redner warfen Handke dabei erneut Genozidleugnung vor und rückten ihn in die Nähe der neuen Rechten: Seine Texte würden nicht grundlos auf deren Websites geteilt.

Eine Metapher vergleicht die schwedische Gesellschaft mit einer Herde: Ausscheren kommt nicht gut an. Das gilt auch für Peter Handke. Weist ein Blick auf die Liste seiner Übersetzungen des Autors für dessen Frühphase rege Translationen auf, werden seine Bücher seit seiner Teilnahme an der Beerdigung Slobodan Miloševics 2006 nicht mehr ins Schwedische übersetzt. In einer Buchhandlung in der Einkaufsstraße Kungsgatan aufliegende Titel reichen von der frühen Angst des Tormanns beim Elfmeter bloß bis zu Mein Jahr in der Niemandsbucht.

Absehbarer Knatsch

Mit der Entscheidung für Handke ist auch die Schwedische Akademie ausgeschert. Manche meinen sogar, der absehbare Knatsch um Handke sei nach der vor zwei Jahren aufgepoppten eigenen Krise des Gremiums um sexuelle Belästigung und Fördergelder als bewusst provokante Machtdemonstration der Erlauchten zu deuten. Mit der Entscheidung für Handke sei das Gremium jetzt allerdings vollends moralisch bankrott.

Während anzunehmen steht, dass die Debatte um den österreichischen Autor mit der Preisverleihung langsam zum Erliegen kommt, dürfte es für den Literaturnobelpreis spannend bleiben. Japanische Journalisten machten sich in Stockholm jedenfalls wegen des Chaos darum Gedanken, ob ihr Nobelpreis in Chemie in seiner Reputation nun auch beschädigt sei oder nicht. (Michael Wurmitzer aus Stockholm, 10.12.2019)