"Die Wütenden" bringen weder Betroffenheitskitsch noch Elemente des handelsüblichen Problemfilms.

Constantin

Der deutschsprachige Titel von Ladj Lys Langfilmdebüt ist zwar falsch übersetzt, aber dennoch treffend. Les Misérables handelt von Elenden, die nämlich auch wütend sind. Die Wütenden hat zwar nur bedingt etwas mit Victor Hugos Roman zu tun, der Film spielt allerdings dort, wo der Autor ihn geschrieben hat, im Pariser Vorort Montfermeil.

Viel habe sich hier seither ja nicht verändert, so der rechtschaffene Protagonist (Damien Bonnard), der an seinem ersten Tag als Stadtpolizist von seinen neuen Kollegen (Djibril Zonga, Alexis Manenti) ins Milieu der Banlieue eingeführt wird. In einer späteren Szene wird deutlich, was er damit gemeint haben mag. Denn ähnlich dem Pariser Juniaufstand von 1832 – zentral in Hugos Les Misérables und im Film nicht erwähnt – hätten auch die 2005er-Unruhen kaum politische Folgen nach sich gezogen.

Die ganze angestaute Wut, die sich damals zum wiederholten Mal in den Vororten Frankreichs entlud, führte, so der wohlmeinende Polizist zu einem Bewohner, zu nichts außer der Zerstörung der Nachbarschaft.

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Der Vorfall, der den Anlass für seinen Crashkurs in Sachen Riot-Zeitgeschichte gab, könne abermals desaströse Konsequenzen haben. Der Adressat der Rede ist im Besitz einer Videoaufnahme, die einen abgebrühten Polizeikollegen dabei zeigt, wie er einen Buben schwer verletzt. Bereits vor 15 Jahren galt Polizeigewalt als einer der Katalysatoren für die Unruhen in den Vororten Frankreichs. Und um sie diesmal zu vermeiden, so der Polizist, solle der Mann mit dem Videomaterial herausrücken – aber nicht, um die Bad Cops in Schutz zu nehmen, sondern um sie damit in Schach zu halten.

Nicht nur hier meint es Die Wütenden mit seinen Nuancen recht gut, das Gut-Böse-Schema wird nämlich auch zugunsten der "Bad" Cops aufgebrochen. Den Dienerinnen und Dienern der Staatsgewalt gibt er bei weitem nicht die alleinige Verantwortung für die Malaise. Er nimmt auch das System dahinter in Beschuss und genauso die informelle Bandenherrschaft der Bruderregimes in den Banlieues.

Häuserkampfgewaltspektakel

Dabei ergreift der Film für jene Partei, die zwischen den beiden Blöcken zerrieben werden. Am Ende des Tages – buchstäblich, denn der Film spielt sich innerhalb von 24 Stunden ab – und nach einem dichtinszenierten jugendbewegten Häuserkampfgewaltspektakel ziert ein Hugo-Zitat das Finale: "Es gibt weder Unkraut noch schlechte Menschen. Es gibt bloß schlechte Gärtner." (Im Sinne einer Kritik der Verhältnisse wäre "Gärten" jedenfalls ebenso passend gewesen.)

Auch wenn sich auf das Sprüchlein sicherlich viele einigen können, bleibt Die Wütenden dank des ungefälligen Endes unversöhnlich. In Betroffenheitskitsch driftet er ebenso wenig ab wie in die trüben Gefilde des handelsüblichen Problemfilms. Wohl nicht nur aber auch, weil Ly direkt betroffen war von den Problemen in Montfermeil, wo er als Sohn malischer Eltern aufgewachsen ist.

Nun reüssiert er mit seinem Spielfilmerstling als Jurypreis-Gewinner in Cannes und mit einer Oscar-Nominierung. Maximale Öffentlichkeit ist seinem Film also sicher, ob sie zu mehr als bloß Auszeichnungen führt, jedoch weniger. (David Auer, 20.1.2020)