Der Vorwurf der Bedarfszuweisung nach Parteifarbe ist nicht neu, ein aktuelles Beispiel illustriert ihn aber besonders drastisch: Wiener Neustadt.

grafik: michaela köck

Die niederösterreichische Neos-Chefin Indra Collini ortet einen Parteibuchwirtschaftsskandal.

Foto: APA/HERBERT PFARRHOFER

Landeshauptfrau Johanna Mikl-Leitner weist das zurück: Die Bedarfszuweisungen würden ausschließlich nach inhaltlichen Kriterien vergeben.

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Die politische Macht versteckt sich gerne hinter sperrigen Begriffen. "Bedarfszuweisungen" ist so einer: abstrakt, amtsdeutsch, unsexy. Dabei entscheiden die Bundesländer mit den Bedarfszuweisungen mitunter über Gedeih und Verderb ihrer Gemeinden, über prallgefüllte Budgets oder gähnende Leere in der Kommunenkasse. Und, das machte die niederösterreichische Gemeinderatswahl vom vergangenen Sonntag deutlich: über Wahlerfolg oder -verlust einzelner Bürgermeister.

Denn Bedarfszuweisungen sind nichts anderes als flexibel vergebenes Geld vom Land an die Gemeinden. Um Schwächen auszugleichen, Projekte wie Straßen oder Feuerwehrhäuser zu finanzieren oder Orten mit Bevölkerungsschwund unter die Arme zu greifen. Hunderte Millionen schickt allein Niederösterreich an seine 573 Kommunen. Wer wie viel erhält, entscheidet die Landesregierung.

Sichtbare Investitionen

Der häufig vorgebrachte Vorwurf gegen die Volkspartei in Niederösterreich lautet: ÖVP-Gemeinden werden bei diesen Zahlungen bevorzugt behandelt, SPÖ-Gemeinden benachteiligt. So werde mit Steuergeld Parteipolitik betrieben. "Die Gemeinden sind bei der Vergabe von Förderungen und Zuweisungen zunehmend der Willkür des schwarzen Parteibuchs ausgesetzt", sagt die niederösterreichische Neos-Chefin Indra Collini etwa. Das zeige sich dann, wenn der Bürgermeistersessel die Farbe gewechselt hat – und frühere rote und jetzt schwarze Gemeinden plötzlich mit Geld überschüttet würden.

Besonders bei der Förderung von Einzelprojekten wird die Macht des Landes im Ort sichtbar. Das sanierte Hallenbad, die neue Garage für die Feuerwehr, der Spielplatz im Ort, die Finanzierung der Musikschule. Es entsteht der Eindruck: Kaum ist die Volkspartei am Werk, geht etwas weiter in der Gemeinde.

Umgefärbt und geldgesegnet

Der Vorwurf ist nicht neu, ein aktuelles Beispiel illustriert ihn aber besonders drastisch. In Wiener Neustadt erreichte die ÖVP bei der Gemeinderatswahl 2020 zum ersten Mal in der Geschichte der Zweiten Republik eine Mehrheit – die zweitgrößte Stadt Niederösterreichs war früher rotes Kernland. Am Wahltag profitierte Bürgermeister Klaus Schneeberger (ÖVP) aber bereits vom Amtsinhaberbonus.

Denn fünf Jahre zuvor landete seine Partei zwar auf dem zweiten Platz hinter der SPÖ – ein Bündnis aus Volkspartei, FPÖ, Bürgerlisten und Grünen wählte Schneeberger aber vom zweiten Platz aus ins Bürgermeisteramt – und seitdem fließen die Bedarfszuweisungen in rauen Mengen. Erhielt das rote Wiener Neustadt in den Jahren 2013 und 2014 einmal 52.800 und einmal 21.700 Euro, war das Land gegenüber dem schwarzen Wiener Neustadt spendabel.

Schon 2015 erhielt die Stadt 1,7 Millionen Euro, 2016 waren es 1,5 Millionen, 2017 und 2018 sogar jeweils 3,2 Millionen. Kaum war Schneeberger im Amt (er ist auch schwarzer Klubchef im Landtag), wurde die Sanierung der Fußgängerzonen in Angriff genommen, der Hauptplatz umgestaltet, die Sauna des städtischen Hallenbads renoviert. Und das, obwohl die Stadt massiv sparen musste, um die Überschuldung der Gemeindekassen einzudämmen.

Schwarze Städte werden stark gefördert

Die Zahlen belegen die Vorwürfe der Kritiker bedingt. Wie eine Auswertung der Rechercheplattform Addendum für das Jahr 2016 ergeben hat, erhielten schwarze Gemeinden durchschnittlich 117 Euro an Bedarfszuweisungen pro Einwohner, rote dagegen nur 66 Euro. Ein großer Teil dieser Diskrepanz lässt sich allerdings durch die Gemeindegröße erklären. Kleine Gemeinden erhalten wegen ihres größeren Bedarfs pro Bewohner mehr Geld – und kleine Gemeinden werden deutlich häufiger von der ÖVP regiert. Im Schnitt, so errechnete Addendum, werden die wenigen roten Gemeinden mit weniger als 1000 Einwohnern sogar mit mehr Bedarfszuweisungen versorgt als ihre schwarzen Pendants.

Ab dem 1001. Einwohner profitieren die Gemeinden aber von schwarzen Bürgermeistern. Bei Städten mit zwischen 20.000 und 50.000 Einwohnern sogar um den Faktor 1:2. Schwarze Städte dieser Größenordnung erhielten 2016 rund 31 Euro pro Kopf, rote nur 16 Euro. Das macht schon einen gewaltigen Unterschied in den kommunalen Budgets.

Plötzlich förderwürdig

Wiener Neustadt fällt in diese Kategorie. Landeshauptfrau Johanna Mikl-Leitner (ÖVP) verteidigt die Explosion der Bedarfszuweisungen in einer Anfragebeantwortung. Mit dem Amtsantritt Schneebergers sei die Sanierung der Gemeindefinanzen eingeleitet worden, es sei der Stadt deswegen wieder möglich gewesen, "Projekte zur Weiterentwicklung der Stadt in Angriff zu nehmen, ohne sich dafür der Gefahr der Zahlungsunfähigkeit auszusetzen".

Außerdem seien weitere Investitionen notwendig gewesen, weil die Landesausstellung 2019 in Wiener Neustadt abgehalten wurde – wohlgemerkt ein Beschluss, den das absolut schwarz regierte Land am Tag nach der Gemeinderatswahl 2015 gefällt hat.

Transparenz gefordert

Die Neos beeindruckt das nicht. "Bei diesem Freundschaftsdienst gewinnt vor allem die ÖVP, sonst niemand", sagt Landeschefin Collini. Sie fordert volle Transparenz und klare Richtlinien für die Vergabe der Bedarfszuweisungen.

Die ÖVP verweist darauf, dass es bereits Richtlinien gebe, die online "auch für die Neos" einsehbar seien. "Sämtliche Bedarfszuweisungen der vergangenen fünf Jahre wurden allesamt einstimmig von der Landesregierung, also mit den Stimmen von SPÖ und FPÖ, beschlossen", sagt der schwarze Landesgeschäftsführer Bernhard Ebner zum STANDARD.

Blau und Rot sitzen übrigens dank des Proporzsystems automatisch in der Landesregierung – den Ton gibt dort selbstredend die ÖVP an. Natürlich auch, was die Bedarfszuweisungen betrifft. (Sebastian Fellner, 31.1.2020)