Ein typischer Februarmorgen auf dem Bottnischen Meerbusen: Leute fahren in die Arbeit, führen ihre Hunde Gassi und joggen durch die kalte, klare Luft – sie tun das tatsächlich auf dem Wasser, denn die Ostsee ist um diese Jahreszeit dick zugefroren. Auch Eric ist heute unterwegs auf der Eisdecke rund um Luleå.

Der 53-jährige US-Amerikaner bietet Stadtführungen auf Schlittschuhen an. An einem alten Industriekran, dem Wahrzeichen der Stadt in Schwedisch-Lappland, beginnt die Tour: mit Blick über den gesamten Archipel aus mehr als 1000 Inseln. Jeden Winter richtet die Stadt einen zehn Kilometer langen Schlittschuhtrail ein, zudem gibt es zwei Eisstraßen, man kann problemlos einen ganzen Tag auf Kufen verbringen.

Das Fahren auf natürlichem Eis ist eine Herausforderung. "Es werden zwar Maschinen eingesetzt, um das Eis zu glätten", sagt Eric, doch viele Risse und Hubbel würden bleiben. Anfänger behelfen sich oft mit Laufstöcken, um sich sicherer zu fühlen und ihre Umgebung wahrnehmen zu können: Wo das Eis jetzt noch bis zum Horizont reicht, werden in wenigen Wochen wieder Kanuten und Segler unterwegs sein.

Plantschen bei bestem Polarwetter

Von der geschlossenen Eisdecke bleibt auch im Winter nicht viel übrig, wenn Lars Wikander unterwegs ist. Es knirscht und knackt, wenn er das Eis in kleine Schollen zerlegt, die danach als glitzerndes Mosaik im Meer treiben. Wikander ist Kapitän eines Eisbrechers, der westlich von Luleå mühelos eine Schneise durch das gefrorene Wasser des Archipels zieht. Am Ende des Flusses Piteå stoppt er schließlich, das knall rote Boot rutscht ein Stück übers Eis. Eine Tür wird geöffnet und die Gangway nach draußen geschoben: für den Badeausflug bei bestem Polarwetter. Zum Schutz vor der Kälte wird man in einen Neoprenanzug gepackt, mit dem man entspannt im drei Grad kalten Wasser plantschen kann, bis Wikander seinen Eisbrecher wieder in Bewegung setzt. Danach bricht er mit seinen Passagieren bereits in Richtung Nachtquartier auf.

Ausflug mit dem Eisbrecher: Zwei Badegäste in Wärmeanzügen laufen über den Bottnischen Meerbusen und suchen nach einem Loch in der Eisdecke. Es folgt der Sprung in die drei Grad kalte Ostsee.
Foto: Sascha Rettig

Während die einen Nachbarn gerade in ihr überdimensionales Vogelnest klettern, machen die anderen in ihrem Ufo schon das Licht aus. Und der alleinreisende Gast, der gleich nach der Ankunft in einem verspiegelten Würfel verschwunden ist, dürfte wohl längst schlafen. Es sind eigenwillige Unterkünfte, die da in einem Waldstück in der Nähe von Harads Gäste beherbergen. Alle drei völlig verschieden, und doch haben sie etwas gemeinsam: Es sind moderne Baumhäuser. Den dichten Kiefernwald bekommt man von dort oben aus einer Perspektive zu sehen, die sonst Eichhörnchen oder Borkenkäfern vorbehalten bleibt.

Das Treehotel in Harads ist ein Kindheitstraum – genauer gesagt jener von Kent Lindvall. Nach seiner Pensionierung ließ ihn der ehemalige Lehrer mithilfe einiger skandinavischer Architekten wahr werden. Doch anders als die windschiefen Baumhäuser aus seiner Jugend bieten sie viel Komfort. Es kann schon einmal passieren, dass einem deshalb Leute wie Justin Bieber über den Waldweg laufen.

Das "Tree Hotel" ist der Kindheitstraum eines pensionierten Lehrers. Seit er ihn durch renommierte Architekten realisieren ließ, kommen auch Gäste wie Justin Bieber.
Foto: Sascha Rettig

Ungewöhnlich für Baumhäuser: Diese haben auch im Winter geöffnet, und das Abendessen wird im Schnee serviert. Während man bei Minusgraden dick in Decken eingemummelt unter dem Sternenhimmel sitzt, bereitet Chefkoch Sebastian Gröndal über dem offenen Feuer ein mehrgängiges Menü zu. Es sind kreative Variationen der sonst eher einfachen Regionalküche: Sik-Fisch (Rheinanken) mit Karfiolpüree etwa oder Rentierfleisch mit Pastinaken.

Ewiges Weiß ums Luftkissenboot

Am nächsten Morgen geht es wieder aufs Eis. "Das muss mindestens 60 Zentimeter dick sein, damit die Autos raus dürfen", erklärt Adam Björklund auf der Eisstraße, die quer durch den Archipel von Luleå führt. Für sein Gefährt ist das allerdings unerheblich, der 23-Jährige steuert ein knallrotes Luftkissenboot. Das gleitet ebenso mühelos übers Eis, wie es im Wasser schwimmt. Die Ziele, die damit erreicht werden können, sind entsprechend uferlos. Heute soll es Hindersön sein, eine Insel, gut zehn Kilometer vom Festland entfernt, schlägt Adam vor. Letztlich ist das aber zweitrangig, denn der Weg ist das Ziel.

Im Luftkissenboot ist es egal, ob der Untergrund flüssig oder gefroren ist. Man kommt damit ganzjährig überall hin im Archipel von Luleå.
Foto: Sascha Rettig

Lässig sitzt der junge Mann hinterm Steuer und beschleunigt das 700 Kilogramm schwere Boot auf 60 Kilometer pro Stunde. Vor den großen Fenstern wirbelt der winterliche Archipel vorbei, oben ist nur der schneeweiße Wolkenhimmel zu sehen und unten die gleißende Eisdecke. Dazwischen liegt ein schmaler, schwarzer Strich. Erst aus der Nähe ist dieser als Inselkette zu erkennen. "Früher wurde dort Sprengstoff gelagert", erzählt Björklund, deshalb nennt man eines der Eilande Schwarzpulver-Insel. Auch die anderen haben seltsame Namen: Die Kartenspiel-Insel heißt so, weil ein früherer Besitzer sie beim Kartenspielen verloren haben soll.

Immer wieder staksen Rentiere über das Eis, auch ein paar Elche lassen sich blicken. "Wenn das Tauwetter einsetzt, kommt es schon vor, dass die Tiere plötzlich auf einer der Inseln festsitzen", weiß Björklund. Für ein Luftkissenboot besteht diese Gefahr nicht, butterweich gleitet er damit zurück bis ans Ufer.

Atemlos durch die Nacht

Viel Zeit hat man nicht zum Überlegen. Sobald die Tür der Sauna offen ist, muss man sich entscheiden: Rennt man zum Abkühlen nur kurz durch die klirrend kalte Luft? Oder traut man sich, hineinzusteigen in das Loch, das in die Eisdecke des Flusses Rane geschnitten wurde? Wer es wagt, muss den Moment stoisch ertragen und tief ein- und ausatmen – oder sich den Kälteschock vom Leib schreien.

Hören kann einen in der abgelegenen Gegend des Aurora Safari Camp ohnehin niemand. 50 Kilometer nördlich von Luleå gibt es nichts außer Wald, Schnee, den zugefrorenen Fluss – und ein paar Zelte. Diese sind an die traditionelle Bauweise der Samen angelehnt und überraschend winterfest. Wer hier eincheckt, kommt zum Abschalten, Entschleunigung ist das einzige Programm. Die einen hören beim Schneeschuhwandern der Stille zu, die anderen starren wortlos in den nächtlichen Himmel und hoffen auf Polarlichter. (Sascha Rettig, 8.2.2020)