Der französische Staatspräsident Emmanuel Macron dürfte von allen Staats- und Regierungschefs Europas den höchsten Intelligenzquotienten aufweisen. Seit seinem überraschenden Aufstieg zum Präsidenten am 14. Mai 2017 blendet der 42-jährige Reformer immer wieder mit seiner rhetorischen Brillanz die Zuhörer und Zuschauer, nicht nur in Frankreich.

Der französische Staatspräsident Emmanuel Macron.
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Infolge der immer wieder aufflammenden Gewaltaktionen der sogenannten Gelbwesten und der massiven Streikbewegungen seit dem 5. Dezember gegen die geplante Rentenreform befinden sich allerdings seine Beliebtheitswerte im freien Fall; rund zwei Drittel der Franzosen lehnen seine Wirtschafts- und Sozialpolitik ab. Dass Präsident Macron in der letzten Zeit vor dem Hintergrund des Ausscheidens Großbritanniens aus der Europäischen Union und der innenpolitischen Lähmung der deutschen Koalitionsregierung wiederholt international auftrumpft, liegt wohl in erster Linie daran, dass er mit der europäischen Führungsrolle Frankreichs den nationalen Stolz seiner Landsleute befriedigen und die kritische Öffentlichkeit beeindrucken will.

Rhetorischen Kurskorrekturen

Es fragt sich allerdings, ob Macron durch verspätete Kurskorrekturen und umstrittene Erklärungen seine Glaubwürdigkeit wiedergewinnen kann. Nachdem er im Herbst den "Hirntod" der Nato beklagt und in Brüssel Verärgerung ausgelöst hat, bietet Macron dieser Tage den europäischen Partnern an, sich an Übungen der französischen Streitkräfte zur nuklearen Abschreckung zu beteiligen. Die alleinige Entscheidungsmacht über den Einsatz der Atomwaffen sei nicht unvereinbar mit "unserer unerschütterlichen Solidarität mit unseren europäischen Partnern".

Es ist allerdings fraglich, ob die rhetorischen Kurskorrekturen ausreichen werden, die durch das berüchtigte "Economist"-Interview (vgl. DER STANDARD, 18. 11.) angeschlagene Glaubwürdigkeit der französischen Außenpolitik zurückzugewinnen. Bekanntlich hatte Macron damals für eine neue europäische Partnerschaft mit Russland plädiert und sogar den Beistandsartikel fünf der Nato infrage gestellt. Das Pochen auf die 300 Sprengköpfe des französischen Atomschirmes über Europa kann über die weltpolitischen Realitäten nicht hinwegtäuschen.

Die offensichtlichen Widersprüche der französischen Ostpolitik haben auch den kürzlich mit großem protokollarischem Aufwand absolvierten Besuch Macrons in Polen überschattet. Die Worthülsen über einen "Wendepunkt der bilateralen Beziehungen" und den "zutiefst europäischen Charakter Polens" konnten das wache Misstrauen der Polen wegen der französischen Annäherung an Russland nicht zerstreuen. Darüber hinaus hatte der legendäre antikommunistische Dissident und Chefredakteur der Tageszeitung "Gazeta Wyborcza", Adam Michnik, bei einem Abendessen mit polnischen Intellektuellen Macron vergeblich gewarnt, Frankreich müsse viel lauter seine Stimme erheben, um die Demokratie und den Rechtsstaat in Polen zu verteidigen. Nur einen Tag nach der bejubelten Eröffnung "eines neuen Kapitels in den französisch-polnischen Beziehungen" und trotz internationaler Proteste unterschrieb Präsident Andrzej Duda das skandalöse Gesetz über die Gängelung der polnischen Justiz. (Paul Lendvai, 11.2.2020)