Wenn die Last der Lebensjahre auf dem Buckel zu sehr drückt, sind oftmals Schäden am Stützapparat die Folge. Haltungsfehler führen zu Schäden, die sich zum Beispiel in einer Verkrümmung der Wirbelsäule manifestieren können. Bei den Knochen des Menschen ist dies schon nach wenigen Lebensjahrzehnten ein Problem – bei Knochen, die viele Millionen Jahre unter Gesteinsschichten überdauern, zeigen sich nachvollziehbarerweise oft weitaus massivere Deformationen: Diese sind zerdrückt, verschoben, verzerrt, manchmal auch völlig platt.

Im Naturhistorischen Museum Wien (NHM) werden zurzeit solchermaßen deformierte Knochen digital wieder in ihre ursprüngliche Form gebracht. Beim Patienten handelt es sich um einen 210 Millionen Jahre alten Plateosaurus aus der Trias. Die bis zu zehn Meter langen Pflanzenfresser sind frühe Vorfahren späterer Giganten wie Brachiosaurus, Diplodocus oder Argentinosaurus. Sie dürften in Herden durch das triassische Mitteleuropa gezogen sein.

Dino zum Selberbauen

Das Skelett erhielt das NHM Anfang 2019 von der Gemeinde Frick im Schweizer Kanton Aargau als Dauerleihgabe. Einziger Haken: Die Lieferung der Knochen erfolgte eingebettet in den Original-Gesteinsblöcken. Präparation und Aufbau müssen von den Experten der geologisch-paläontologischen Abteilung des Museums erledigt werden – die Grundbedingung für die Leihgabe. In der Tongrube Gruhalde in Frick wurden in den vergangenen Jahrzehnten mehr Plateosaurier gefunden, als das kleine Museum vor Ort gebrauchen kann –ein Glücksfall für das NHM, denn die Anschaffung eines großen Dinosauriers wäre budgetär nicht machbar.

Die Knochen mussten in mühsamer Kleinarbeit vom umgebenden Sedimentgestein befreit werden.
Foto: NHM Wien

Seit einem Jahr läuft nun die Arbeit an der Freilegung und der Rekonstruktion. Aufgebaut wird der Wiener Plateosaurier rund sechs Meter lang sein. Das Exemplar des NHM ist zu 80 Prozent komplett – eine ansehnliche Quote für ein Dinosaurierskelett. Schließlich sind zahllose Arten nur von einzelnen Teilskelettfunden bekannt. Von einem kürzlich im NHM präsentierten Pliosaurier ist gar nur ein einzelnes Zähnchen bekannt – für eine Aufstellung einer neuen Art viel zu wenig, auch wenn der Fund zeitlich und räumlich isoliert ist.

Präparatorin Iris Feichtinger bei der Vermessung des rechten Oberschenkelknochens.
Foto: NHM Wien

Knochenjob

Ein Jahr lang wurden nun im NHM die Knochen freigelegt und präpariert. Die äußerst brüchigen Stücke werden mithilfe eines Spezialklebers stabilisiert. Daraus resultiert jedoch eine unnatürlich glänzende Oberfläche, die deswegen mit Backpulver gestrahlt wird. Für die Montage taugen jedoch bei weitem nicht alle Knochen. Manche sind zu fragil, manche durch die Millionen Jahre Last der darüberliegenden Gesteinsschichten zu verdrückt. Um das Skelett für die Schausammlung montieren zu können, muss also ein brauchbarer Ersatz her.

Die Knochen und 3D-Drucke bilden ein großes Puzzle.
Foto: NHM Wien

Dem Plateosaurus fehlt jedenfalls ein ganzer Arm. Das ist kein Drama, es muss bloß der andere Arm gespiegelt werden. Darüber hinaus steht dem NHM ein weiterer unvollständiger Fund als Ersatzteillager bereit. Dass der Riese kopflos ist, ist schon eher bedauerlich. Doch ein passender Ersatzkopf wurde in Form eines Gipsabgusses aus Stuttgart herangeschafft.

Theropodenzahn

Der Kopf dürfte wie einige andere Knochen schon bald nach dem Tod des Tieres verlorengegangen sein. Möglicherweise haben sich Räuber an dem Kadaver des Plateosauriers bedient. Dafür spricht der bei der Präparation aufgetauchte Zahn eines Raubsauriers. Aus Frick sind bisher zwei verschiedene Arten von Theropoden bekannt, diese ähneln Coelophysis und Liliensternus. Der nun entdeckte Theropodenzahn könnte jedoch von einer dritten Art stammen. Dazu sind jedoch noch weitere Untersuchungen nötig.

Der Bauplan des Plateosaurus.
Foto: 7reasons

Wo heute die Tongrube von Frick ist, dürfte während der Trias ein Wasserloch gewesen sein. Die schweren Tiere versanken im Schlamm und blieben stecken. Dies erklärt, warum die Gliedmaßen der Tiere an der Fundstelle meist vollständiger erhalten sind als höher liegende Teile wie der Kopf. Außerdem wurden in Frick vor allem ausgewachsene Tiere gefunden – kleinere und leichtere konnten sich wohl besser aus dem sumpfigen Terrain befreien.

Ersatzknochen aus dem Drucker

Bisher wurden für Skelettrekonstruktionen fehlende Arm- oder Beinknochen kompliziert vom entsprechenden Gegenstück gespiegelt nachmodelliert. Heute geschieht dies mithilfe moderner Computertechnologie. Das NHM arbeitet hierbei mit der Wiener Firma 2Print zusammen, die auf naturgetreue 3D-Ausdrucke spezialisiert ist. Die Knochen werden mit einem Strukturlichtscanner dreidimensional eingescannt. Fehlende Gliedmaßenteile werden nun digital gespiegelt, verdrückte Wirbel und Rippen entzerrt und in die richtige Form gebracht, bevor sie aus Kunststoff ausgedruckt werden.

Ein deformierter Wirbel im Scan.
Foto: 2Print

Der Schädel wird mithilfe der Photogrammetrie aus mehr als tausend Einzelfotos nachgebaut. Gescannt werden nur jene Skelettteile, bei denen dies für die Montage nötig ist. Aus Kostengründen muss auf eine komplette Digitalisierung des Skeletts verzichtet werden.

Mit einem Strukturlichtscanner werden die einzelnen Skelettteile digitalisiert.
Foto: NHM Wien

Die Scans sind bald abgeschlossen, dann folgen noch rund zweitausend Stunden, in denen die Knochen ausgedruckt werden. Wenn die Nachkolorierung abgeschlossen ist, wird aus der Distanz zwischen den echten Knochen und den ausgedruckten Ersatzstücken kaum ein Unterschied ausgemacht werden können.

Iris Feichtinger beim Kolorieren des Schädels.
Foto: NHM Wien

Der Plateosaurus ist einer der am besten dokumentierten Dinosaurier überhaupt. Die Gattung ist von dutzenden Fundstellen in Deutschland, der Schweiz und Frankreich bekannt. Zahlreiche vollständige Exemplare stammen aus Halberstadt, Trossingen und eben Frick im Kanton Aargau, wo jeweils massenhafte Vorkommen gefunden wurden.

Bereits 1834 wurde vom Nürnberger Lehrer Johann Friedrich Philipp Engelhardt das erste Skelett entdeckt. Der Fund wurde vom Frankfurter Paläontologen Hermann von Meyer drei Jahre später als Plateosaurus engelhardti erstbeschrieben – als erst fünfter Vertreter der Gruppe der Dinosaurier. Diese war zu dem Zeitpunkt als solche noch gar nicht bekannt, schließlich stellte der britische Forscher Richard Owen das Taxon "Dinosauria" erst im Jahr 1841 auf.

Auf zwei oder vier Beinen

Trotz der Fülle an Informationen ist bis heute die Frage nicht endgültig geklärt, ob sich Plateosaurus auf zwei oder auf vier Beinen fortbewegt hat. Für beide Thesen gibt es plausible Studien. Die Vorderbeine der frühen sauropodomorphen Dinosaurier sind weitaus kürzer als ihre Hinterbeine. Die späteren riesigen Sauropoden dagegen liefen zweifelsfrei auf allen vieren.

Liefen die Plateosaurier auf zwei ...
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... oder auf vier Beinen?
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Der Wiener Plateosaurus soll jedenfalls Ende 2020 fertiggestellt sein, dann wird er – auf zwei Beinen aufgerichtet stehend – den Mesozoikumsaal des Museums überblicken. (Michael Vosatka, 18.2.2020)