MeToo-Symbol oder Nazi-Braut? 1967 erwarb die National Gallery in Washington Leonardo da Vincis "Ginevra de’ Benci" aus der Sammlung Liechtenstein. Das Bild wäre in der Schau zu sehen gewesen.

Foto: National Gallery of Art, Washington

Dass Ausstellungen in der Museumsbranche abgesagt werden, kommt vor. Wenn daran mehrere Institutionen beteiligt sind, die mehr als vier Jahre Arbeit und Geld investiert haben, dann gilt das als große Ausnahme. Dazu muss es schon einen triftigen Anlass geben. Aus den Gründen für die Absage ein Geheimnis zu machen ist in der Fachwelt dagegen ungewöhnlich.

Wenn dabei ausgerechnet jener Kooperationspartner zum Handkuss kommt, dessen Sammlung im Mittelpunkt einer Tournee gestanden wäre, dann ist die Grenze zum Affront überschritten. In einem aktuellen Fall ist davon das Fürstentum Liechtenstein betroffen. Ein Ärgernis auch für den Chefkurator Johann Kräftner, der für das bizarre Vorgehen kein Verständnis hat.

Denn es geht nicht um eine Ausstellung, die beliebig in alternativen Museen oder Ländern gastieren könnte. Auch wenn der allgemein gehaltene Titel The Princely Collections, Liechtenstein: Five centuries of painting and sculpture das suggeriert.

Katalog bereits fertig

Vielmehr beruhte das Konzept auf einem Dialog: zwischen gegenwärtigen Beständen und solchen Kunstwerken, die Liechtenstein nach dem Zweiten Weltkrieg nach Nordamerika verkaufte, womit dort die Sammlungen nationaler Museen teils begründet wurden. Daran orientierte sich sowohl die Tour, die von Juni 2020 bis Oktober 2021 in vier Museen zu sehen gewesen wäre, als auch die mehrjährige Zusammenarbeit mit den Institutionen: der National Gallery of Art (NGA, Washington), der National Gallery of Canada (Ottawa) und der American Federation of Arts (AFA, New York), die als Organisator fungierte.

Ein gutes Jahr habe man etwa allein am Katalog gearbeitet, der Mitte Jänner "endlich!" in seiner finalen Fassung vorlag, erzählt Kräftner. Zwei Wochen später, am 3. Februar, wurde er von der AFA informiert: Washington habe die Ausstellung abgesagt, die gesamte Tournee sei damit vom Tisch. Gründe für diese Entscheidung nannte man keine. Kräftner war irritiert und urgierte mehrmals.

Nach einigen Tagen bekam er einen Hinweis. Via Mail übermittelte die AFA Auszüge einer Publikation, die sich mit der Rolle des Fürstentums während des Zweiten Weltkriegs beschäftigte. Kurios, denn es handelte sich um die englische Übersetzung jener Studie, die das Fürstentum 2001 bei einer unabhängigen Historikerkommission selbst in Auftrag gegeben und 2005 publiziert hatte.

Wird ein NS-Bezug zum Vorwand?

Zu den Ergebnissen gehörte, dass die liechtensteinischen Banken in der NS-Zeit "in begrenztem Rahmen mit Partnern im Reichsgebiet" in geschäftlicher Verbindung standen und auch Vermögen von NS-Verfolgten verwalteten. Arisierung jüdischen Besitzes oder Zwangsarbeit fand weder im Fürstentum noch durch seine Unternehmer statt.

In der Kunstsammlung befanden sich einige wenige Objekte mit problematischer Provenienz, die restituiert wurden. Allerdings hatten Verwalter dreier Landwirtschaftsbetriebe in Österreich von Juli 1944 bis Kriegsende jüdische KZ-Häftlinge aus Ungarn als Zwangsarbeiter beschäftigt.

Falls es darum geht, müssten US-amerikanische Museen künftig wohl auch von Kooperationen mit deutschen oder österreichischen Institutionen absehen. Konsequenterweise müsste man dann auch die öffentliche Präsentation einer Vielzahl von Kunstwerken infrage stellen.

Sowohl dem Fürstenhaus als auch dem Chefkurator ist es ein Rätsel, warum das jetzt plötzlich zum Thema wurde. Zugehörige STANDARD-Anfragen verliefen über Tage ergebnislos. Schließlich bestätigte man die Absage, ließ die Frage nach den Gründen jedoch unbeantwortet. Die AFA stellte ergänzend die Fortführung der langjährigen Zusammenarbeit mit Liechtenstein in Aussicht. Also doch kein "Nazi-Problem"?

MeToo als wahrer Grund?

In der amerikanischen Museumsszene erzählt man sich längst anderes. Dem Vernehmen nach soll es in Washington einen potenziellen MeToo-Fall geben, der 2018 zur plötzlichen Pensionierung eines Kurators führte (Name der Redaktion bekannt). Beim Katalog zur Liechtenstein-Ausstellung blieb er jedoch als Autor an Bord.

Johann Kräftner war bereits 2018 etwas zu Ohren gekommen. Auf mehrmalige Nachfrage habe der damalige Direktor jedoch etwaige Probleme in Abrede gestellt. Der STANDARD fragte dazu bei der AFA nach, die – ohne die Vermutungen zu dementieren – an die National Gallery of Arts verwies. Deren Kommentar: Die Entscheidung, "nicht an der Ausstellung teilzunehmen", stehe "in keinem Zusammenhang mit Personalfragen".

Für den Chefkurator der fürstlichen Sammlungen Liechtenstein gehört die MeToo-Theorie, wider jedwede Vernunft, derzeit dennoch zu den wahrscheinlichsten für die Absage. Aus Sicht des Fürstenhauses macht es das aber nicht besser. Denn damit hätte der NS-Verweis bloß als Vorwand für die wirklichen Gründe gedient. Wer das veranlasste? Die Auszüge aus dem Historikerbericht wurden der AFA aus Washington übermittelt. (Olga Kronsteiner, 26.2.2020)