David Berman zurzeit der Veröffentlichung des letzten Albums der Silver Jews. 2008 erschienen Lookout Mountain Lookout Sea.

Foto: Drag City

Um ein Haar hätte ich ihn live gesehen. Auf dem Primavera-Festival ist es 2009 zu einem der handverlesenen Auftritte von Dave Berman und seiner Band Silver Jews gekommen. In dem Jahr war ich aber nicht in Barcelona. Schlechtes Glück, dachte ich, vielleicht ein anderes Mal.

Der Auftritt war insofern eine Sensation, als Berman eine für das Musikgeschäft sehr untypische Person war. Er weigerte sich, Promotion für seine Musik zu machen, gab keine Interviews und ging nie auf Tour. Wäre nicht alle paar Jahre ein Album erschienen, man hätte ihn glatt vergessen. Doch das 2008 erschienene Lookout Mountain Lookout Sea wurde so euphorisch empfangen, dass Berman es versuchte und auf Tour ging.

Letztes Jahr im August kam dann die Nachricht, dass sich das mit dem "ein anderes Mal" nicht ereignen würde: David Berman hatte sich das Leben genommen. Ich war im Urlaub und deshalb nicht fähig, ihm nachzurufen, doch war klar, dass irgendwann eine Würdigung fällig wäre. So rätselhaft der Mann gewesen sein mochte, zumindest vier Silver-Jews-Alben sind großartig. Eigentlich fünf, aber dazu später.

Haberer von Pavement

Aufgetaucht waren die Silver Jews 1994. Im selben Jahr, in dem Crooked Rain von Pavement erschien, veröffentlichte der einstige Museumswärter David Berman Starlite Walker – Pavement.Chef Stephen Malkmus und Berman kannten einander vom Studium her, waren Haberer, und als der pathologische Loner Berman sein Debüt ablieferte, wurden Pavement gerade zu globalen Slacker-Stars. Dennoch fanden die beiden Pavements Malkmus und Bob Nastanovich Zeit, auf Starlite Walker mitzuspielen.

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Das Album war so charmant ramponiert wie die Musik von Pavement und besaß einen subkutanen Country-Vibe. Und noch etwas punktete bei mir schon beim ersten Hören: Die Gitarre im Opener Trains Across the Sea erinnerte mich an Camper Van Beethoven. Das war günstig für die Silver Jews, denn die von mir heißgeliebten CVB waren damals schon Geschichte, und ich litt Phantomschmerzen.

"American Water"

Zwei Jahre später erschien The Natural Bridge. Das besitzt ebenfalls einen Honky-Tonk-Gestus, ist aber zu schlau für durchschnittliche Kuhbubenmusik und zu schlapp für Machismo hoch zu Ross. Ein okayes Album, das aber zu sehr durchhängt. Doch dann kam American Water.

Silver Jews - Topic

1998 war das, und Pavement waren längst egal geworden und sollten sich demnächst auflösen. Auch war US-amerikanischer Indie-Rock bis zum Erbrechen durch, das Post-post-Nirvana-Sättigungsgefühl ließ alles andere spannender erscheinen als eine weitere verwahrlost wirkende junge Weißbrot-Combo.

Verzweiflung und Lakonie

Unbeirrt davon kam American Water daher und rührte mit seiner Mischung aus nerdigen Midtempo-Songs, dem hymnischen Instrumental Night Society, dem verdrehten People oder dem verschrobenen Honk If You're Lonely. Berman hatte seine Handschrift verfestigt. So ähnlich die Songs in ihrem Tonfall sind, so verschieden sind sie in ihrer Mischung aus Verzweiflung und Lakonie, in ihrem Witz und ihrem letztlich tödlichen Ernst.

Ein richtiges Freak-out für Bermans Verhältnisse: Night Society.
Silver Jews - Topic

Berman hatte immer wieder depressive Schübe. Das resultierte in einigen Suizidversuchen und einer Drogensucht, von der er offenbar immer nur kurz wegkam und die ihn in ein moralisches Dauerdilemma versetzte. Und dann war da noch Dr. Evil.

So wird sein Vater von der politischen Konkurrenz genannt. Richard Berman ist ein in den USA berüchtigter Lobbyist für alles, was auf der Welt als böse und schlecht gilt: Waffen, miese Mindestlöhne, Erdöl.

Vergiftete Grundstimmung

Berman hasste seinen Vater, und in seiner Musik taucht dieses Verhältnis immer wieder auf. Begleitet von der Verzweiflung, es selbst jenen Menschen nicht recht machen zu können, die ihn förderten, schätzten, mit ihm musizierten, ihn liebten, wie seine Frau Cassie. Berman litt und litt, weil unter seinem Leiden und dessen Auswirkungen seiner Ansicht nach alle in seiner Umgebung an ihm litten.

Drag City

Das besorgte eine Grundstimmung, aus der heraus er nur den Weg kannte, der ihn dorthinein gebracht hatte: Drogen. Die Wirkung mit der Ursache zu bekämpfen, das wusste der scheue Akademiker, konnte nicht gutgehen.

Gassi zum Dealer

Doch wenn Musik für ihn eine Therapie war, dann hatten seine Hörer darunter nicht zu leiden. Berman wirkte auf Alben wie Bright Flight und Tanglewood Numbers wie ein Eremit, der an den Rändern von Nashville lebte, wie ein Outlaw-Country-Typ. Groß, schlank, dünnes Haar, am Ende einer Lehrerbrille aus der Kollektion von 1973. Einer, der mit dem Hund zu seinem Crackdealer Gassi ging und alle drei, vier Jahre ein Album veröffentlichte.

Silver Jews - Topic

Das letzte von 2008, Lookout Mountain ..., stand unter dem Eindruck einer spirituellen Suche, von der er sich wohl eine existenzielle Verbesserung versprach. Zwei Suizidversuche soll er da schon hinter sich gehabt haben. Der Jude Berman reiste nach Israel, ein Filmteam begleitete ihn und dokumentierte die Reise.

Aura der Genesung

Auf dem letzten Silver-Jews-Album klingt er zudem ein wenig wie Johnny Cash. Sein trockener Bariton tönt nüchtern. Ehefrau Cassie verleiht den Songs eine Aura der Genesung, eines Aufbruchs vielleicht. Ein Irrtum. Aber wieder einer, der die Musik nicht zu sehr in Beschlag nahm: Berman wirkte wie im Reinen mit sich. Ja, sogar ein paar Auftritte folgten. Dann verschwand er wieder. Seine Ehe ging in die Brüche, und man kann sich ausmalen, womit er seine Zeit verbracht hat. Bis er sich im Vorjahr erhängte.

Silver Jews - Topic

Als die Todesnachricht kam, wusste ich nicht, dass gerade erst einen Monat zuvor ein letztes Album von ihm erschienen war. Unter dem Namen Purple Mountains hatte er ein titelloses Werk abgeliefert, das musikalisch eine Fortsetzung seiner Silver-Jews-Arbeiten war. Zwar ist in jedem Song das Glas halb leer, aber die Lakonie, mit der er das abfederte, erweckte den Eindruck, das wird schon. Es wurde nicht.

Das musikalische Testament Bermans: Purple Mountains mit All My Happiness Is Gone.
Purple Mountains - Topic

Was bleibt, sind ein paar wunderbare Alben voll charmanter und nachdenklicher Oneliner, die jetzt allesamt jene Tragik umweht, die so oft vom Witz ihres Schöpfers egalisiert schien. Hart ist es, Purple Mountains mit Songs wie All My Happiness Is Gone zu lauschen. Das war nicht bloß eine gruselige Schauergeschichte– es war eine Diagnose. Auch die restlichen Songtitel klingen von heute aus betrachtet final. Darkness and Cold. She's Making Friends, I'm Turning Stranger, Nights That Won't Happen, Maybe I'm the Only One for Me ... ein letztes tragisches Meisterwerk.

Trost spendet wieder einmal nur die Musik, seine Musik. (Karl Fluch, 1.3.2020)