Feminismus muss in erster Linie Sozialpolitik sein, darüber sind sich Elfriede Hammerl und Schifteh Hashemi einig.

Foto: Heribert Corn
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In den vergangenen 20 Jahren hat eine neue Generation von Feministinnen neue Forderungen gestellt, während gleichzeitig viele Forderungen ihrer Vorkämpferinnen noch immer unerfüllt sind. Der alte Kampf für eine faire Verteilung der unbezahlten Familien- und Sorgearbeit steht ebenso weiter auf dem Programm wie die jüngere Frage nach einer konsequenten Verknüpfung von Feminismus und Antirassismus. Wie ist trotz unterschiedlicher Prioritäten und Perspektiven ein gemeinsames Engagement möglich?

STANDARD: Frau Hashemi, Sie haben Frau Hammerl kürzlich dafür kritisiert, dass sie sich hinter Alice Schwarzer gestellt hat. Vor allem jüngere Feministinnen werfen Schwarzer vor, gegen Frauen, die ein Kopftuch tragen, zu agitieren.

Hammerl: Darf ich erst noch eine kleine Korrektur anbringen: Ich finde nicht, dass Alice Schwarzer gegen Frauen mit Kopftuch vorgeht, sondern das Kopftuch als ein Symbol der Ungleichheit thematisiert, und in diesem Punkt stimme ich ihr zu. Sie attackiert Frauen mit Kopftuch nicht, sie attackiert den Kopftuchzwang.

Hashemi: Mit dieser Differenzierung kann ich leben. Trotzdem ist das Kopftuch für mich als Feministin und Frau mit Migrations- und Fluchthintergrund einfach nicht das Hauptthema. Ich bin nicht der Meinung, dass man den politischen Islam oder sonstige rechte Ideologien verschleiern sollte. Aber den Fokus auf das Kopftuch finde ich unsolidarisch. Damit verbauen wir uns etwas, denn wir brauchen die Stimmen aller Frauen. Und ich kritisiere durchaus auch diese unterschwelligen antimuslimischen Ressentiments, die auch viele Feministinnen haben.

Hammerl: Ich hab in dem Ausmaß antimuslimische Ressentiments, wie ich auch antikatholische Ressentiments habe. Mich stört, dass die säkulare Gesellschaft nicht mehr wahrgenommen wird. Die zweite Frauenbewegung hat sich als Gegnerin religiöser Zwänge gesehen. Damals waren aber das Christentum und sein Frauenbild das Thema. Ich hätte gern, dass wir uns von diesen religiösen Zusammenhängen wieder wegbewegen. Ich weiß schon, dass junge Frauen heute das Kopftuch auch aus anderen Motiven tragen, etwa weil sie sich als Teil einer diskriminierten Gruppe fühlen. Das verstehe ich. Trotzdem werde ich das Kopftuch erst dann als normales Bekleidungsstück sehen, wenn es nirgends mehr auf der Welt unter Androhungen aufgezwungen wird.

STANDARD: Dividieren die Positionen zum Kopftuch die Generationen auseinander? In den 1970ern gab es kaum den Anspruch, Feminismus und Antirassismus zu verbinden.

Hashemi: Ein Feminismus, der nicht auf Klassenverhältnisse oder Rassismus schaut, ist für mich kein Feminismus. Das Anliegen, verschiedenste Diskriminierungsformen zu berücksichtigen, ist sicher wichtiger geworden. Viele Junge wollen keinen Feminismus leben, der ständig auf Vertretung aus ist. Frauen aus bildungsfernen Schichten, Frauen mit Behinderungen, sie alle müssen Räume und Strukturen vorfinden, in denen sie ihre Anliegen selbst vorbringen können.

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STANDARD: Sie sagen, es müssen mehrere Ebenen der Diskriminierung berücksichtigt werden. Wird das nicht für viele Menschen zu unüberschaubar und kompliziert?

Hashemi: Es ist gar nicht kompliziert, wenn man es auf Themen runterbricht. Für mich ist Sozialpolitik feministische Priorität, da muss ich dann auch gar nicht die verschiedenen Differenzierungen – Klasse, Behinderung, Herkunft und so weiter – extra anführen. Nehmen wir den Zwölfstundentag: Da geht es um Arbeitszeit, und im Zuge dessen um die Frage, was wird überhaupt als Arbeit anerkannt? Es geht also weniger um theoretische Themen, sondern darum, sich konkrete politische Felder rauszusuchen.

Hammerl: Feminismus muss in erster Linie Sozialpolitik sein, da bin ich ganz bei Ihnen. Ich widerspreche nur in einem Punkt: Ich kenne schon Leute, die sich vom Feminismus nicht mehr angesprochen fühlen, weil er zu kompliziert geworden ist. Ich bin pragmatisch: Es geht darum, wie ganz gewöhnliche Frauen ein gutes Leben nach ihren Vorstellungen führen können. Dafür muss man kämpfen, der theoretische Diskurs hat sicher seine Berechtigung, er ist aber nicht mein Anliegen.

Hashemi: Allerdings hat auch der sogenannte weiße Feminismus mit dem Leben vieler Frauen nichts zu tun. Das Frauen-Männer-Verhältnis in Vorständen interessiert mich nicht so besonders und betrifft auch nur eine sehr privilegierte Schicht. Tatsächlich haben viele feministische Bewegungen nicht bedacht, was für die Migrantinnen in den 1960er-Jahren vorwiegend wichtig war, wie Arbeit bezahlt wird, welche Kollektivverträge es gibt, wer die unbezahlte Arbeit macht, Altersarmut, das betrifft fast alle Frauen. Deshalb ist diese ganze Kopftuchdiskussion eine nicht emanzipierende. Wenn wir Frauen auf sozialpolitischer Basis emanzipieren, wird das Kopftuch als Kampfthema verschwinden.

Hammerl: Johanna Dohnal ging es auch nicht um Vorstandsposten, die hat sich schon früh mit migrantischen Frauen zusammengesetzt, sie hat sich immer für die Lebensumstände von Frauen interessiert. Die Frauenquoten in Vorständen und Aufsichtsräten gehören dazu, weil es einfach eine Frage der Gerechtigkeit ist, dass Frauen dort entsprechend den demografischen Verhältnissen vertreten sind, das ist alles. Auch wenn Frauen in diesen Positionen dann nicht feministisch agieren.

STANDARD: Sie haben sich beide für ein Frauenvolksbegehren engagiert. Frau Hammerl 1997, Frau Hashemi 2017. Beide hatten praktisch keine politischen Auswirkungen. Entmutigen Sie das?

Hammerl: Das ist damals aus einer irrsinnigen Wut wegen des dritten Sparpakets der Regierung Vranitzky entstanden, das sehr zulasten von Frauen gegangen ist. Eine Gruppe von Frauen hat deshalb das "Unabhängige Frauenforum" gegründet. Und jetzt bin ich nicht ganz uneitel: Ich hatte die Idee, den Weg eines Volksbegehrens zu versuchen. Das Volksbegehren wurde auch breit unterschützt; von unabhängigen Frauen, den roten, den grünen Frauen, von der katholischen Frauenbewegung. Letztlich hatten wir 645.000 Unterschriften. Im Parlament sind dann die roten Frauen umgefallen, wir waren ja in einer rot-schwarzen Koalition. Und dann wurde das Volksbegehren in den Parlamentsausschüssen quasi ausgesessen.

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Haschemi: Dann sind Sie auch die Mutter des zweiten Volksbegehrens, dreißig Jahre nach dem ersten Frauenvolksbegehren – das war ein wichtiger Anlass, das zweite Frauenvolksbegehren überhaupt zu machen. Wir hatten zwar rund 150.000 Unterschriften weniger, aber bei einem direktdemokratischen Mittel geht es vor allem um das Anstoßen von Diskursen. Und gewissen Themen, etwa der Arbeitszeitverkürzung, die schon 1997 eine Forderung war – war auch 2017 eine. Forderungen wie diese werden zwar nicht sofort politisch umgesetzt, aber sie werden Teil politischer Debatten. Die Parteien müssen sich zumindest irgendwie dazu positionieren.

Hammerl: Arbeitszeitverkürzung wäre sehr wichtig. Viele Frauen können ihren Tagesablauf nur gestalten, weil sie bestimmte Dinge an andere, nicht besonders gut bezahlte Frauen delegieren. Wenn die dann auftreten und sagen, es sei alles nur eine Frage der Organisation, geht mir das Geimpfte auf. Denn die zahlen ihre Nannys nicht mit der Währung "Organisation", sondern mit Geld – und das muss man mal zur Verfügung haben. Wer wie viel wobei verdient, diesen Fragen müssen wir uns stellen. Aber wir schwindeln uns um sie herum, wenn wir sagen, dass es unser feministisches Ziel sei, eine "Powerfrau" zu sein.

STANDARD: Wo ist etwas weitergegangen? Wo hapert es?

Hammerl: Na ja, mir fällt eher das Hapern ein. Immer mehr Frauen arbeiten Teilzeit, um die Vereinbarkeit hinzubekommen. Ich bin nicht dafür, dass alle Frauen 60 Stunden arbeiten und ihre Kinder gar nicht mehr sehen, aber wir sehen ja, was Teilzeit bedeutet. Das Bewusstsein, dass man mit Teilzeit der Altersarmut entgegensegelt, ist einfach nicht da. Ich sehe auch in den Ansprüchen, was eine Mutter leisten muss, einen Backlash. Und immer, wenn Erleichterungen kommen, werden sie mit Misstrauen belegt. Nehmen wir die Mikrowelle: Vor 20 Jahren waren wir glücklich, dass wir mit der Mikro das Essen aufwärmen konnten, wenn die Kinder von der Schule gekommen sind. Heute gilt: "Igitt, mein Kind isst ungesundes Mikrowellenessen sicher nicht."

Hashemi: Aber das betrifft wirklich nur eine bestimmte Schicht. Wir reden hier von Akademikerinnen.

Hammerl: Aber gerade die, die als Opinion-Leader fungieren, verteufeln das und schauen herunter auf die "Proletenmutter".

Hashemi: Um etwas Positives zu sagen: Es gibt derzeit viele junge Frauen, die sich sehr engagieren, die radikal und auch undankbar sind. Die fordern etwas ein und wurden auch früh feministisch sozialisiert.

Hammerl: Na ja, natürlich will man nicht, dass die jüngeren Feministinnen dauernd in ewiger Dankbarkeit an vorangehende Bewegungen vergehen. Aber wir sollten den wahren Feind nicht aus den Augen verlieren. Man sollte den Kräfteverschleiß nicht derartig forcieren, dass man sich ständig gegen die vorigen Generationen stellt.

Hashemi: Nein, so meinte ich das gar nicht. Sondern dass man einfach auch sieht, was noch nicht gemacht wurde – und es jetzt selbst in die Hand nimmt. (Beate Hausbichler, 8.3.2020)