Seit Amtsantritt gibt sich Klaudia Tanner (ÖVP) als harte Kämpferin für Wiedergutmachung in der Causa Eurofighter ("Airbus wird mich noch kennenlernen!"). Unerschrocken gibt sich die Verteidigungsministerin auch bei der Begrüßung: Trotz Corona-Zeiten gibt es herzliche Shakehands, Fragen nach allfälligen Skrupel pariert sie gekonnt mit einem "Na, Sie trauen sich doch auch!".

STANDARD: Sie wollten unbedingt Verteidigungsministerin werden. Gab es seit Ihrem Amtsantritt schon einen Moment, in dem Sie das bereut haben?

"Mir würde sehr vieles einfallen, aber die Verantwortung des Amtes verlangt anderes als Kommentierungen": Klaudia Tanner über FPÖ-Klubchef Herbert Kickl.
Foto: Robert Newald

Tanner: Nein, überhaupt nicht. Das war und ist mein Wunschressort, in dem ich nun angekommen bin. Mich hat es immer schon gereizt, Funktionen anzunehmen, in denen ich als erste Frau Verantwortung übernehmen kann. Eines sage ich aber auch ganz offen: Manches sucht man sich nicht aus – etwa dass unangenehme Ereignisse quasi im gleichen Moment eintreffen, wie aktuell die Bewältigung der Corona-Krise oder der Flüchtlingsandrang, der sich an der türkisch-griechischen Grenze abspielt.

STANDARD: Stichwort Flüchtlinge: Ihr Vorgänger Thomas Starlinger hat erklärt, dass das finanzmarode Bundesheer einen Assistenzeinsatz wie 2015 kaum mehr stemmen könne – teilen Sie diesen Eindruck?

Tanner: Keineswegs. Derzeit haben wir an der Südostgrenze 854 Soldaten im Einsatz, und je nach Anforderung werden das auch mehr werden. Insgesamt können wir hier bis zu 2.200 Soldaten in den Assistenzeinsatz bringen. Wenn man sich ansieht, dass wir im Schnitt 1.700 Soldaten ständig im Einsatz haben, unabhängig von der aktuellen Situation, also von Nickelsdorf bis Mali, dann sind wir sehr wohl einsatzfähig und können den Österreichern die Sicherheit geben, dass wir auf die Herausforderung vorbereitet sind. Zum Vergleich: Das viel größere Deutschland hat nur 3.700 Soldaten im ständigen Einsatz.

STANDARD: Ex-Innenminister und FPÖ-Klubchef Herbert Kickl empfahl unlängst für die Abwehr von Flüchtlingen Tränengas und auch Waffeneinsatz. Sind Sie froh, in Zeiten wie diesen nicht mit ihm zu koalieren?

Tanner: Fakt ist, dass beim jüngsten Verteidigungsministertreffen im Zagreb festgehalten wurde, dass Griechenland alles versucht, um im Interesse Europas die Außengrenze zu schützen. Dazu kommt der jeweilige Grenzschutz entlang der möglichen Migrationsrouten – und erst der dritte Sicherheitsgürtel ist also der Assistenzeinsatz des Bundesheeres entlang Österreichs Grenze, den wir für das Innenministerium zu bewältigen haben ...

STANDARD: Unsere Frage zielte darauf ab, dass Kickl vor einem Jahr unter Türkis-Blau noch Innenminister war – und dass er nun einen Waffeneinsatz anregt, wie man es bisher nur von extrem rechten Parteien wie der deutschen AfD kannte.

Tanner: Ich bewerte die Aussagen vom politischen Mitbewerber nicht, das ist auch nicht die Aufgabe einer Verteidigungsministerin. Daher nur so viel: Mir würde dazu sehr vieles einfallen, aber die Verantwortung des Amtes verlangt anderes, als Kommentierungen dazu abzugeben.

STANDARD: Dennoch drängt sich da die Frage auf: Ein Waffeneinsatz gegen Flüchtlinge – ist so was in Europa überhaupt denkbar?

Tanner: Diese Frage macht mich persönlich sehr betroffen. Es geht um Verhältnismäßigkeit, auch wenn es darum geht, unsere Grenzen zu schützen. Und es macht mich auch betroffen, dass an der türkisch-griechischen Grenze Menschen als Spielball eingesetzt werden, um etwas zu erpressen.

STANDARD: Ihr grüner Koalitionspartner und auch Deutschland hoffen auf eine Allianz der Willigen, zumindest unbegleitete minderjährige Flüchtlinge aufzunehmen. Für Sie wie für Kanzler Sebastian Kurz (ÖVP) kein Thema?

Tanner: Den klaren Aussagen des Kanzlers ist nichts hinzuzufügen. Es stimmt ja auch nicht, dass wir niemanden aufnehmen – siehe Familiennachzug. Außerdem ist es schon rein rechtlich nicht möglich, nur Kinder und Mütter aufzunehmen.

STANDARD: Am Dienstag findet im Kanzleramt ein Gipfel zum Zivildienst statt. Sie selbst wollen ab 2021 eine Teiltauglichkeit einführen, um die Anzahl an Wehrpflichtigen zu steigern. Auf wie viel mehr Kräfte hoffen Sie denn da pro Jahr?

Tanner: Auch um einen sich dahinziehenden Assistenzeinsatz an der Grenze zu gewährleisten, brauchen wir mehr Grundwehrdiener. Die beiden Kriterien, die Volltauglichkeit und die Teiltauglichkeit, die jetzt eingeführt werden, sollen dazu führen, dass nur mehr körperlich und geistig beeinträchtigte Männer nicht mehr wehrpflichtig sind. Gemäß unserer Schätzungen können wir so auf 2.000 bis 3.000 mehr Grundwehrdiener im Jahr kommen, dazu kämen noch rund 500 Zivildiener, wie wir hoffen. Parallel dazu gilt es natürlich auch Werbung zu machen, damit mehr junge Männer eine Karriere beim Bundesheer machen möchten.

STANDARD: Eine Rückkehr zu acht statt sechs Monaten Grundwehrdienst ist und bleibt für Sie tabu – obwohl sich nicht wenige hochrangige Militärs dafür aussprechen, damit die als körperlich und geistig tatsächlich für fit befundenen Männer besser ausgebildet werden?

Tanner: Das steht nicht im Regierungsprogramm. Uns geht es darum, die sechs Monate so zu gestalten, dass alle den Dienst als sinnvolle Zeit empfinden. Unlängst hat mir eine Kommandantin erklärt, dass sie den schönsten Beruf habe, den man sich vorstellen könne, da sollten wir hinkommen ...

STANDARD: Warum bemühen Sie sich dann nicht um mehr Frauen für das Bundesheer – die kämen dann freiwillig und müssten vielleicht nicht erst lange vom Bundesheer als attraktiver Dienstgeber überzeugt werden?

Tanner: Bei der ABC-Abwehr, die wir in Zeiten von Corona brauchen, haben wir immerhin schon 18 Prozent Frauenanteil, aber natürlich ist der Gesamtanteil beim Bundesheer in der Höhe von nur vier Prozent zu gering. Auch hier wollen wir unsere Anstrengungen verstärken.

STANDARD: Im Zuge der Luftraumüberwachung muss die Saab 105 demnächst außer Dienst gestellt werden. Wie es mit dem Eurofighter weitergeht, ist ebenfalls offen. Wie lauten da Ihre Pläne?

Tanner: Die Frage der Eurofighter hat schon fünf Bundesregierungen beschäftigt. Ich habe in Verantwortung für die Steuerzahlerinnen und Steuerzahler zu agieren – da habe ich zu schauen: Haben wir alle rechtlichen Möglichkeiten gegenüber dem Eurofighter-Hersteller Airbus ausgeschöpft? Wir sind gut aufgestellt mit der 2017 eingebrachten Anzeige, der sich die Republik als Privatbeteiligter angeschlossen hat. Es gibt zur Zukunft der Luftraumüberwachung zwei sehr ausführliche Berichte von zwei Kommissionen. Ich habe den Generalstab beauftragt, diese zu erweitern, um alle Varianten inklusive einer Leasingvariante zu überprüfen.

STANDARD: Vorschläge gibt es seit Jahren, die Optionen sind ja weitgehend bekannt ...

Tanner: Ja, Vorbereitungsarbeiten hat es viele gegeben, Entscheidungen aber wenige. Ich habe mir vorgenommen, die Wehrsprecher aller im Parlament vertretenen Parteien mit an Bord zu haben, die werden regelmäßig von uns informiert. Denn das Wichtigste ist absolute Transparenz, darauf hat man in der Vergangenheit vielleicht nicht so geachtet.

STANDARD: Und was heißt das konkret für die Abfangjäger?

Tanner: Die Frage, ob das künftig ein Einflotten- oder ein Zweiflottensystem sein soll, ist noch nicht endgültig beurteilt. Die Saab-105 fliegen ja wieder.

STANDARD: Aber nur noch bis Jahresende?

Tanner: Das hat es immer geheißen. Ich habe daher Kontakt aufgenommen mit meinem schwedischen Amtskollegen, da wird das eine oder andere noch zu besprechen sein; vielleicht gibt es ja neue Informationen. Wir werden uns jede der Optionen, auch das zwischenzeitliche Leasing von Flugzeugen, noch einmal anschauen – ich habe da mit meiner Schweizer Kollegin telefoniert. Wir werden mit Ende Juni eine Lösung haben. Es geht darum, die Vergangenheit mit der Zukunft sinnvoll zusammenzuführen.

STANDARD: Die Vergangenheit, das ist das Eurofighter-Geschäft, die nahe Zukunft eine Entscheidung über einen Hubschrauberkauf. Kann man angesichts der Vorgänge rund um den Eurofighter den Eurocopter von Airbus kaufen?

Tanner: Dass Airbus nicht unser Wunschpartner ist, ist hinlänglich bekannt. Wir haben uns bei jedweder Vergabe und Anschaffung nach den rechtlichen Vorgaben unter anderem des Unionsrechts zu orientieren. Und da ist schon klar, dass man nicht ein Unternehmen ganz einfach aus dem Vergabeprozess ausschließen kann. Dazu würde es eines rechtskräftigen Urteils bedürfen.

STANDARD: Was nicht so bald kommt?

Tanner: Da müssen Sie die Justiz fragen. Wir haben in Verantwortung für die Steuerzahler um das Geld zu kämpfen – mir ist nicht klar, warum es in Deutschland und Italien Wiedergutmachung gegeben hat und bei uns nicht.

STANDARD: Aber ausgeschlossen ist es nicht, dass die Eurofighter weiter betrieben werden?

Tanner: Ausgeschlossen ist nichts. Unsere Aufgabe ist, das Beste herauszuholen, sowohl was den Betrieb der Luftraumüberwachung als auch was juristische Fragen der Wiedergutmachung betrifft.

STANDARD: Wiedergutmachungszahlungen stehen aber in keiner Relation zum gesamten Verteidigungsetat. Auch wenn Sie das Budget nicht über die Medien verhandeln wollen: Ihr Vorgänger hat vorgerechnet, wie viele Milliarden das Bundesheer braucht – das ist unstrittig, die Frage ist, ob das Militär das Geld auch bekommt?

Tanner: Es ist schon gut, wenn Daten und Fakten dargelegt werden. Wir haben das Beste herauszuholen – das werden wir tun. Der parlamentarische Prozess beginnt ja erst am 18. März. (Conrad Seidl, Nina Weißensteiner, 10.3.2020)