Fällt der Strom aus, haben auch viele nachgeordnete Infrastrukturen Probleme. Diese Kaskadeneffekte gilt es bestmöglich zu simulieren.
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Das Leben der Menschen spielt sich heute in einem vielfältigen Zusammenspiel komplexer Infrastrukturen ab. Um eine optimale Versorgung aufrechterhalten zu können, müssen viele Bereiche eng zusammenspielen – beispielsweise Energiebereitstellung, Gesundheitseinrichtungen, Verkehrsträger, Wasser- und Verbrauchsgüterlogistik, Bankwesen und Telekommunikation. Diese kritischen Infrastrukturen kann man als ein Geflecht von Netzwerken begreifen, das maßgeblich von gegenseitigen Abhängigkeiten geprägt ist.

Macht beispielsweise eine Lawine eine Straße in ein Alpental unpassierbar, bedeutet das nicht nur, dass Menschen gegebenenfalls ihren Wohnort nicht erreichen können, sondern auch, dass die Versorgung mit Lebensmitteln unterbrochen ist. Fällt die Stromversorgung großflächig aus, sind davon auch Krankenhäuser betroffen, die auf Notstromaggregate zurückgreifen und somit von der Versorgung mit fossilen Kraftstoffen abhängig sind.

Sind Datennetze korrumpiert, bedeutet das vielleicht auch, dass Online-Bezahlsysteme oder Bargeldbehebungen an Automaten nicht mehr einwandfrei funktionieren. Umweltkatastrophen, Terrorangriffe oder Cyberattacken können schwer absehbare Folgeeffekte in den verschiedenen Infrastrukturen haben. Um besser gewappnet zu sein, braucht es hier besondere Sicherheitsanforderungen und entsprechende Notfallpläne.

Akkurate digitale Modelle

Allen Vorkehrungen ist dienlich, wenn es möglichst genaue elektronische Modelle der Infrastrukturen gibt. Stefan Rass vom Institut für angewandte Informatik der Universität Klagenfurt arbeitet mit seinen Kollegen nun daran, akkurate digitale Modelle unterschiedlicher kritischer Infrastrukturen in einer Gesamtsimulation zu kombinieren.

Das Ziel dabei ist einerseits, Störungen und ihre möglichen Kaskadeneffekte im Systemgeflecht zu simulieren. Andererseits wird es möglich, potenzielle Schwachstellen und neuralgische Punkte abzuleiten, an denen Verbesserungen sinnvoll sind.

"Unser Ansatz kann zu einer Entscheidungsgrundlage für Risikomanager werden, die sich dann für die aus ihrer Sicht besten Maßnahmen entscheiden", sagt Rass. Auch die Auswirkungen von Krankheitsepidemien wie der aktuellen Covid-19-Bedrohung könnten in Zukunft mit derartigen Systemen besser abgeschätzt und abgebildet werden.

Rass’ Forschung fließt unter anderem in das Projekt "Odysseus" ein, bei dem unter der Projektleitung des Austrian Institute of Technology (AIT) eine Reihe von Ministerien, Forschungseinrichtungen und Unternehmen beteiligt sind. Unterstützt vom Sicherheitsforschungsprogramm Kiras der Förderagentur FFG werden mögliche cyberphysische Bedrohungen simuliert.

Bereits im Vorgängerprojekt "Cerberus" widmete man sich Daten- und Abhängigkeitsmodellen und schaffte Beiträge für ein Resilienzmodell vernetzter kritischer Infrastrukturen.

Komplexe Systeme imitieren

Um die komplexe Systemdynamik adäquat abbilden zu können, bedienen sich Rass und Kollegen in ihren Modellen Methoden der künstlichen Intelligenz (KI). Die Machine-Learning-Algorithmen werden genutzt, um das Verhalten von Teilsystemen im Netzwerk zu simulieren.

"Ein Krankenhaus ist ein hochkomplexes System, das nur schwierig in allen Details und inneren Dynamiken und Abläufen abzubilden wäre", gibt Rass ein Beispiel. "Dank der künstlichen Intelligenz ist das auch nicht notwendig. Wir nutzen die Stärke der KI, komplexe Systeme zu imitieren."

Auf Basis vergleichsweise weniger Ausgangsdaten kann also etwa ein Modell des Krankenhauses gebildet werden, das sich in wesentlichen Punkten sehr ähnlich dem realen Vorbild verhält.

Die entsprechend mit historischen Daten trainierten Machine-Learning-Algorithmen treten in den Simulationen an die Stelle von Krankenhäusern, Kraftwerken, Straßen- und Telekomnetzen. Definiert man die Relationen und wechselseitigen Auswirkungen zwischen diesen Teilsystemen, ergibt sich ein komplexes Gesamtnetzwerk, indem sich die Effekte von Ereignissen über das Gesamtsystem hinweg beobachten und in Prognosen simulieren lassen.

"Mit diesem Werkzeug können wir abschätzen, wo in diesem Netzwerk welche Investitionen getätigt werden sollen, um den größtmöglichen Effekt für alle Bereiche zu erreichen", resümiert Rass. "Letztendlich geht es um die Frage, wie man beschränkte Mittel einsetzt, um das bestmögliche Ergebnis zu erzielen." (Alois Pumhösel, 18.3.2020)