Keine Expertise der Welt entlässt die Regierenden aus der politischen Verantwortung. Und der Raum für demokratischen Widerspruch wäre in einer Expertenregierung stark eingeschränkt.

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In der Corona-Krise schlägt die Stunde der Experten. Zunächst einmal jener, die sich unmittelbar mit Pandemien beschäftigen: Fachleute aus der Epidemiologie, Virologie und dem Public-Health-Bereich. Nachdem aber kaum ein Lebensbereich von den Folgen der Pandemie unberührt bleibt, ist irgendwann Expertise aus allen Disziplinen gefragt: Ökonomie, Mathematik, Statistik, Psychologie, Ethik, Sozial- und Rechtswissenschaften – die Liste ließe sich beliebig fortsetzen. In manchen Ländern bringen es Experten plötzlich zu ungewohnter Bekanntheit, etwa der deutsche Virologe Christian Drosten oder der Immunologe Anthony Fauci in den USA.

Wie aber steht es um die Akzeptanz von Experten als Entscheidungsträgern in demokratischen Systemen? In der Demokratie beruht die Legitimität der Regierung letztendlich ja auf einem Mandat der Wählerschaft, nicht auf fachlicher Expertise oder wissenschaftlicher Qualifikation.

Die European Values Study fragt regelmäßig nach der Zustimmung zu vier verschiedenen Regierungsvarianten: 1) einer Militärregierung; 2) dem notorischen "starken Führer", der ohne Rücksicht auf Wahlen und Parlament regiert; 3) einem demokratischen System; 4) einer Variante, bei der "Experten und nicht die Regierung darüber entscheiden, was für das Land das Beste ist".

Die Grafik unten zeigt die Daten, die im Rahmen dieser Befragung für Österreich zwischen Jänner und April 2018 erhoben wurden. Die Zustimmung zum Militärregime und zum "starken Führer" ist begrenzt. Addiert man die Bewertungen mit "sehr gut" und "ziemlich gut", können sich nur sechs beziehungsweise 15 Prozent der Befragten für diese beiden Varianten erwärmen. Die demokratische Regierungsform hingegen kommt auf satte 96 Prozent Zustimmung.

So weit, so erwartbar. Die Expertenregierung hingegen schneidet überraschend gut ab: 56 Prozent der Befragten äußern sich dazu positiv. Nun kann man sich darüber streiten, wie sehr der Fragewortlaut verdeutlicht, dass es sich bei dieser Variante um ein nichtdemokratisches System handelt. Nicht alle Befragten mögen es so verstehen, aber dass "Experten und nicht die Regierung" entscheiden sollen, impliziert – zumindest in demokratischen Systemen – eine andere Legitimitätsbasis als den Wählerwillen.

Dennoch sehen überraschend viele Menschen keinen Widerspruch zwischen Expertenregierung und Demokratie: Eine Mehrheit von 55 Prozent bewertet beide Optionen mit "sehr gut" oder "ziemlich gut". Und tatsächlich werden gerade in demokratischen Systemen viele Entscheidungen an politisch nicht rechenschaftspflichtige technokratische Institutionen ausgelagert, etwa an Höchstgerichte, Zentralbanken oder formell unabhängige Regulierungsbehörden.

Gerade in einer schweren Krise ist es aber sinnvoll, wenn politische Maßnahmen primär von Politikern kommuniziert werden und nicht durch Verkündung aus Expertenmund den Nimbus des Unangreifbaren erhalten. Denn erstens entlässt keine Expertise der Welt die Regierenden aus der politischen Verantwortung. Und zweitens muss immer Raum für demokratischen Widerspruch bleiben – und der ist durch die europaweite Hinwendung der Wählerschaft zu den Amtsinhabern ohnehin schon eingeengt. (Laurenz Ennser-Jedenastik, 21.4.2020)