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Sind 43 Prozent Beteiligung für eine Mitgliederbefragung realistisch? Kritiker in den eigenen Reihen rücken den von Parteichefin Pamela Rendi-Wagner zelebrierten Erfolg in ein dunkles Licht.

Foto: Reuters / Leonhard Foeger

Stärkung. Rückenwind, Neustart: Regelrecht begeistert hat Pamela Rendi-Wagner ihr Ergebnis bei der Mitgliederbefragung in der SPÖ aufgenommen, die Landesparteichefs schlossen sich, wenn auch eine Spur weniger enthusiastisch, weitgehend an. Doch wie weit deckt sich das mit der tatsächlichen Stimmungslage? Schließlich haben Parteidebatten eine Besonderheit: Pflichtschuldiger Jubel wird vor laufenden Kameras gezollt – die Kritik hingegen findet oft verdeckt, im Schutz der Anonymität statt.

So ist es auch diesmal. Ein Teil der Rendi-Wagner-kritischen Genossen will das am Mittwoch präsentierte Ergebnis nicht einfach schlucken. In Funktionärskreisen kursiert eine wilde Vermutung: Das für die Chefin so positive Resultat könnte manipuliert sein.

In Zweifel steht nicht das Votum von 71 Prozent für den Verbleib Rendi-Wagners an der Parteispitze, sondern der Umstand, dass sich fast 43 Prozent der knapp 158.000 Mitglieder an der Befragung beteiligt haben sollen. Für unrealistisch halten Skeptiker diesen Wert und verweisen auf Erfahrungen aus der Vergangenheit. Bei der letzten Mitgliederbefragung 2018 war eine Armada an Aktivisten ausgeschwärmt, um die vielfach betagten, per Internet schwer erreichbaren Mitglieder durchzutelefonieren, dazu gab es eine breite Kampagne – trotzdem nahmen nicht mehr als 22,1 Prozent teil. Diesmal haben die Landesparteien Rendi-Wagners Aktion weitgehend boykottiert. Und da soll der Rücklauf plötzlich doppelt so hoch gewesen sein? "Das schreit zum Himmel", urteilt ein Genosse von der Basis beispielsweise. Ein anderer befindet: "Die Sache stinkt gewaltig."

Viel Wind in den Medien

Allerdings lässt sich entgegenhalten, dass eine Abstimmung über ein Parteiprogramm und eine Organisationsreform wie 2018 eher etwas für Insider ist, während das Pro und Kontra Rendi-Wagner die ganze Partei elektrisiert hat. Die Berichte der Medien machten so viel Wind um die Sache, wie es keine Parteikampagne vermocht hätte – und vielleicht hat der Corona-Lockdown ja dazu geführt, dass viele Menschen Zeit und Muße für den Fragebogen hatten.

"Mich hat die hohe Beteiligung nicht überrascht", sagt Harry Kopietz, "statt um No-na-Fragen ist es diesmal eben um etwas gegangen." Der 71-jährige Haudegen aus der Wiener SPÖ leitet jene Wahlkommission, die derartige Befragungen zu organisieren und überwachen hat. "Alles ist völlig korrekt abgelaufen", versichert Kopietz: Noch nie sei eine Befragung derart gut geprüft worden.

Ruf nach Handarbeit

Letztere Behauptung stieß allerdings in der Wahlkommission selbst auf Widerspruch. Von 14 anwesenden Mitgliedern nahmen laut Kopietz neun das ausgewertete Ergebnis zur Kenntnis, fünf aber stimmten dagegen. Das Resultat sei aber nicht infrage gestellt worden, sagt Kopietz, sondern nur das Verfahren: Die kritischen Stimmen hätten moniert, dass eine händische Auszählung doch besser gewesen wäre.

Die Parteiführung hatte aber von Anfang an ein anderes Prozedere beschlossen, wie der Kommissionsleiter erläutert. Um Doppelabstimmungen auszuschließen, sei jedem Mitglied ein Barcode zugeordnet worden, von dem die persönlichen Daten zwecks Anonymisierung abgetrennt wurde. Die online eingetrudelten Stimmzettel landeten bei der hauseigenen EDV-Firma ITZ, die per Post geschickten beim Unternehmen Dataselect, das zum Einscannen wiederum eine andere externe Firma beauftragte. Die Kommission habe die Datenträger mit allen gesammelten Fragebögen in der Folge in einer versiegelten Box erhalten, erzählt Kopietz, um diese dann wieder zur Auswertung an die Dataselect zu schicken.

Schwieriges Nachzählen

Ob er, wie kolportiert wird, in der Kommission den Wunsch abgeschmettert hat, eine Stichprobenprüfung vorzunehmen? "Ich habe gar nichts verhindert, sondern nur gesagt, dass das nicht möglich ist", sagt Kopietz. Die Genossen haben online 36.198 und per Post 32.440 gültige Stimmzettel eingeschickt, rechnet er vor, da könne man vor einer Vorstandssitzung nicht auf die Schnelle nachzählen – und eine beliebige Stichprobe sage nichts aus. "Ich habe aber nichts dagegen, wenn das jemand nachträglich tun will", fügt Kopietz an: "Es wird nur nichts anderes herauskommen."

Offenbar waren es die steirischen und niederösterreichischen Vertreter, die in der Kommission dagegenstimmten, auch im Parteivorstand hatte eine Steirerin Kritik geübt. Auf Nachfrage des STANDARD beschränkt sich der steirische Landesgeschäftsführer Günter Pirker jedoch auf ein knappes Statement: Die Mehrheit in der Kommission habe das Ergebnis abgesegnet, auch für ihn sei damit alles okay.

Sein niederösterreichischer Kollege Wolfgang Kovecar will ebenso wenig sagen, ob er zu den fünf Gegenstimmen zählte, bestätigt jedoch die Kritik an der fehlenden Überprüfbarkeit. "Es ist aber normal, in einer Wahlkommission Fragen zu stellen", fügt er an: "Ich bezweifle das Ergebnis nicht, sehe keine Unregelmäßigkeiten und deshalb auch keinen Grund für eine Nachzählung."

Verdacht der Verleumdungskampagne

Was weiters für Kritik in roten Kreisen sorgt: Laut SPÖ-Statut ist die Wahlkommission für die Auszählung von Befragungen zuständig. Das gewählte Prozedere habe diese Vorschrift verletzt.

Bundesgeschäftsführer Christian Deutsch sieht hinter der Manipulationsdebatte hingegen eine "ungeheuerliche Verleumdungskampagne": Offenbar wollten einzelne Personen der SPÖ schaden. Deutsch kündigte bereits für Freitag eine Überprüfung an, die Michael Umfahrer, Präsident der österreichischen Notariatskammer, persönlich begleiten werde. Dabei wird es zwar zu keiner kompletten Neuauszählung kommen, jedoch würden alle Wünsche der Kommission erfüllt – so auch das Ziehen von Stichproben.

Die in der Partei kursierende Gegentheorie zu den Vorwürfen: Die fünf Kritiker in der Wahlkommission hätten den Sanktus deshalb verweigert, um zum Schaden Rendi-Wagners genau solche Verschwörungstheorien loszutreten, wie sie nun die Runde machen. "All das", sagt ein Funktionär, "zeigt, wie tief die Gräben in der Partei sind." (Gerald John, 7.5.2020)