Langsam rollt ein Radler auf der Straße Richtung Praterstern. Er wirft einen raschen Blick über die Schulter, bevor er kurz am Rand stehen bleibt, sich umdreht und mit seinem Handy ein Foto macht. Ein Passant beobachtet die Szene und schüttelt den Kopf. Für die einen ist der neue "Pop-up-Radweg" auf der Praterstraße eine Attraktion, die nun endlich die Platzverhältnisse zugunsten der Radler umverteilt. Für andere ist er ein Unding, das nur für mehr Stau sorgt.

Seitdem letzte Woche auf der stadtauswärtigen Fahrbahn mit oranger Farbe eine neue Trennlinie gezogen wurde, gehen die Wogen jedenfalls hoch. Wie mehrere Radler am Wochenende in sozialen Netzwerken berichteten, wurden auf der Fahrbahn Reißnägel gestreut. Auch Fotos von zerstochenen Reifen wurden hochgeladen. Die Polizei bestätigt, dass ein Opfer Anzeige erstattet hat.

Lichtenegger: "Solche Mittel sind zu verurteilen"

Es wird wegen Sachbeschädigung gegen vorerst unbekannte Täter ermittelt. Beamte im zuständigen Stadtpolizeikommando seien zudem entsprechend sensibilisiert worden und seien mit der Radlobby in Kontakt. Beim Lokalaugenschein des STANDARD am Montag waren keine Reißnägel mehr zu sehen, auch die Straßenreinigung habe Sonntagabend und am Montag keine gefunden, heißt es seitens der Bezirksvorstehung.

Man habe sie jedoch ersucht, die Praterstraße künftig im Auge zu behalten, sagt Bezirksvorsteherin Uschi Lichtenegger (Grüne) zum STANDARD. Lichtenegger hat den Radweg erst letzte Woche gemeinsam mit Parteikollegin und Vizebürgermeisterin Birgit Hebein eröffnet.

Letztere spricht in einem Facebook-Posting von einem "feigen, mutmaßlich politisch motivierten Angriff mittels Reißnägel." Die Grünen wollen daher "rasch und unbürokratisch helfen" und die entstandenen Schäden ersetzen. Betroffene können Hebein eine Facebook-Nachricht samt Foto des Schadens schicken, die "Grüne Radrettung" übernehme dann die Reparatur.

Was den Radweg grundsätzlich betrifft, habe man aus der Bevölkerung bisher "total viele positive Rückmeldungen" erhalten, sagt Lichtenegger. Beschwerden gebe es allerdings auch – etwa was das Rein- und Rausfahren von und in Garagen betrifft. "Bei jeder Veränderung gibt es Diskussionen", sagt Lichtenegger. "Natürlich kann man auch gegen bestimmte Maßnahmen sein. Aber solche Mittel sind klar zu verurteilen. Dadurch gefährdet man Menschen", sagt die Bezirksvorsteherin.

Praterstraße als Flaniermeile?

Vorerst ist der Radweg bis Ende August befristet. Seine Einführung wurde mit dem Corona-bedingten Ansteigen des Radverkehrs begründet. Ob angedacht ist, aus der temporären eine dauerhafte Maßnahme zu machen, darüber geben sich sowohl Lichtenegger als auch das Büro von Hebein bedeckt. Es bleibt wohl abzuwarten, wie gut der Weg angenommen wird. Erste konkrete Messungen sollen Anfang nächster Woche vorliegen.

Die aufgepoppte Fahrbahn ist ein weiterer Mosaikstein in der bereits Jahre andauernden Diskussion rund um die Neu- beziehungsweise Umgestaltung der Praterstraße, die, wenn es nach den Grünen geht, mehr in Richtung Flaniermeile umgestaltet werden soll. "Die Diskussion über den Pop-up-Radweg sollte man aber nicht mit der über die gesamte Neugestaltung der Straße vermischen", meint Lichtenegger.

Verhärtete Fronten

"Für uns ist es natürlich immer gut, wenn der Autoverkehr zurückgedrängt wird", sagt Michael Ritter vom vor Ort ansässigen Café Dogenhof, während er Tische und Sessel rausträgt, um den Schanigarten für die Wiedereröffnung am 15. Mai vorzubereiten. Bezüglich der "Pop-up-Lösung" zeigt er sich jedoch skeptisch: Vielmehr brauche man ein umfassendes Gesamtkonzept, das auch gefährliche Abbiegesituationen entschärfen würde. Denn Autofahrer kämen hier durchaus in schwierige Situationen.

Mittel wie Reißnägel streuen seien "vollkommen inakzeptabel", sagt Ritter. Auch Thomas, ein Autofahrer, findet Nägel auf der Fahrbahn "nicht in Ordnung". Insgesamt wünscht er sich aber mehr Rücksicht auf Pkw-Fahrer.

Ein Passant aus Kaisermühlen nimmt die Radler in die Pflicht: "Unter den Radlern gibt es nicht genug Disziplin, was die Einhaltung von Regeln betrifft", sagt der Polizist, der gerade außer Dienst unterwegs ist und anonym bleiben möchte. Was die Praterstraße betrifft, hätte eine Spur gereicht, meint der Beamte, fügt aber an: "Ich bin auch für weniger Autoverkehr in der Stadt. Aber Modelle wie Carsharing funktionieren einfach noch nicht gut genug."

Anders sieht das etwa Passantin Linda Paula Keider, die in der Gegend arbeitet. Sie fordert mehr Platz für Radfahrer ein, erst Montagfrüh habe sie beobachtet, welcher Schwall sich bei der Urania-Kreuzung gestaut habe. Die Fronten seien bereits vor der Reißnagel-Aktion verhärtet gewesen, sagt Ritter vom Dogenhof.

Wer wie viel Platz in der Stadt zur Verfügung hat – diese Frage wird gerade am Beispiel der Praterstraße im zweiten Wiener Gemeindebezirk diskutiert.
Foto: christian fischer

Corona auch international als "Rutsche"

Nicht nur in Wien setzt die Stadtverwaltung auf mehr Fahrrad. Auch in anderen europäischen Hauptstädten rücken Radler in den Mittelpunkt: Mehr Radwege – das stand schon vor Corona im Berliner Mobilitätsplan. Doch jetzt wurden mehr als zehn Kilometer so schnell umgesetzt, dass man schon von "Corona-Radwegen spricht". In den Innenstadtbezirken wurden neue Spuren geschaffen und bestehende erweitert. Fette gelbe Markierungen weisen auf den Platz hin, der auf Kosten der Autofahrer geht. Die Radler sind so begeistert, dass sie Blumen für die Baufirma mitbrachten.

Vor kurzem wurde in Deutschland eine Novelle der Straßenverkehrsordnung beschlossen: Diese sieht auch aus Sicherheitsgründen einen Abstand von 1,5 Metern für Autos beim Überholen vor. Auch Brüssel und Paris nützen die Corona-Krise als "Rutsche" für eine fahrradfreundlichere Verkehrspolitik. Beide Städte hatten entsprechende Konzepte schon seit Jahren entwickelt, nun wurde der Prozess beschleunigt, mit teils großer Unterstützung aus der Bevölkerung. (Vanessa Gaigg, Birgit Baumann, Gianluca Wallisch, 11.5.2020)