Nachdem in einigen asiatischen Ländern sogenannte Contact-Tracing-Apps (Kontaktrückverfolgungs-Apps) zur Bewältigung der Covid-19-Krise eingeführt worden waren, begannen nun auch mehrere europäische Länder damit, solche digitalen Werkzeuge einzusetzen – oder planen das zumindest. In Österreich gibt es beispielsweise die "Stopp Corona"-App, die vom Österreichischen Roten Kreuz angeboten wird und bereits mehr als 560.000 Mal heruntergeladen worden sein soll.

Die Kontaktrückverfolgungstechnologie basiert darauf, dass die Nutzerinnen und Nutzer der App mitteilen, ob sie infiziert sind oder nicht. Diese Informationen können dann zwischen den Geräten, die nahe genug sind, ausgetauscht werden, sodass die Benutzerinnen und Benutzer wissen, ob sie mit infizierten Personen in Kontakt waren. Darüber hinaus aber könnten diese Informationen – rein theoretisch – auch an andere Parteien, etwa an die Regierung oder private Unternehmen, weitergegeben werden.

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Corona-Apps und vergleichbare digitale Technologien wie künstliche Intelligenz (KI) und Datenwissenschaft können potenziell zur Bewältigung der Covid-19-Krise und ähnlicher Probleme der öffentlichen Gesundheit beitragen. Gleichzeitig wirft der konkrete Einsatz dieser Tools aber auch eine Reihe ethischer, rechtlicher und gesellschaftlicher Fragen auf. In den vergangenen Monaten habe ich offene Briefe an die Regierungen Spaniens, Belgiens und der Niederlande unterstützt, die auf diese Probleme aufmerksam gemacht haben.

Gefahr des "Technological Solutionism"

Lassen Sie mich einen kurzen Überblick über einige der wichtigsten ethischen Herausforderungen geben. Eine ernste Besorgnis betrifft den Schutz der Privatsphäre und der gesammelten Daten. Werden die Daten nur lokal oder zentral gespeichert? Wer hat Zugang zu den Daten? Werden die Daten anonymisiert? Und ganz allgemein: Lohnt es sich für die Nutzerinnen und Nutzer tatsächlich, um der Gesundheit willen etwas von der Privatsphäre aufzugeben?

Doch unabhängig davon, ob man sich mit diesem Problem befasst (derzeit mag die "Stopp Corona"-App in Bezug auf Privatsphäre und Datenschutz ja durchaus in Ordnung sein), ist es fraglich, ob die App die richtige Lösung für das Problem ist, ob sie eine effektive Lösung darstellt und ob sie in einem angemessenen Verhältnis zu dem vorliegenden Problem steht. Technologie ist nicht immer die Lösung für jedes Problem (in Fachkreisen als die Gefahr des "Technological Solutionism" bekannt), und es ist zweifelhaft, ob die App tatsächlich funktioniert, zum Beispiel wenn sie nicht von einer ausreichenden Anzahl von Menschen benutzt wird, falsche Informationen liefert oder ein falsches Gefühl der Sicherheit vermittelt.

Unklar ist auch, wie lange die App verwendet wird (ist sie zeitlich begrenzt?), und es besteht die Gefahr, dass sie später für andere Zwecke verwendet wird, zum Beispiel für die Erstellung von Personenprofilen im Rahmen von Versicherungen. Die App könnte auch unbeabsichtigte Auswirkungen auf das Verhalten von Personen haben, oder die Menschen könnten tricksen, etwa indem sie das Smartphone zu Hause lassen. Und wer ist verantwortlich, wenn alles schiefgeht?

Beitrag zu autoritären Tendenzen

Aber die App hat nicht nur individuelle Auswirkungen, sie kann auch zu gesellschaftlichen Veränderungen beitragen. Ganz allgemein stellen die Maßnahmen während der aktuellen Covid-19-Krise eine Bedrohung für die Grundrechte und Freiheiten der Menschen dar. Autoritäre Machthaber – oder solche mit autoritären Tendenzen – sind nur allzu gern bereit, digitale Technologien zu nutzen, um die Freiheiten der Menschen einzuschränken. Aber auch in Ländern, die sich selbst als demokratisch bezeichnen, darunter Österreich, sehen wir, dass Grundrechte wie die Versammlungsfreiheit als Reaktion auf die Krise eingeschränkt wurden. In einer liberalen Demokratie ist es wichtig, immer wieder zu diskutieren, ob solche Maßnahmen notwendig und gerechtfertigt sind. Klar ist, dass Corona-Apps zu autoritären Tendenzen und zur Einschränkung von Grundrechten beitragen können. Die Gefahr einer permanenten Überwachungsgesellschaft scheint sich einzuschleichen.

Und schließlich können solche Apps auch das Vertrauen zwischen den Menschen zerstören und den (unbeabsichtigten) Effekt haben, dass manche gemieden, stigmatisiert oder diskriminiert werden, zum Beispiel jene Personen, die infiziert waren, oder jene, die die App nicht nutzen. Die Corona-App zeigt zudem auch einmal mehr die digitale Kluft, die auch in den europäischen Gesellschaften besteht: Nicht jeder hat ein Smartphone oder weiß, wie man es benutzt. Welche Auswirkungen hat es, wenn nur eine digitale Elite die App nutzt? Wird diese dann besser geschützt sein als die restliche Bevölkerung?

Verpflichtung oder Freiwilligkeit

Aus demokratischer Sicht ist es auch wichtig, genügend politische Unterstützung für die Nutzung einer App zu haben. Während die meisten Österreicherinnen und Österreicher mit der freiwilligen Nutzung der App einverstanden sind, ergab eine Gallup-Umfrage im April, dass 72 Prozent der Befragten gegen eine verpflichtende Nutzung der App sind. In den vergangenen Tagen schien die österreichische Regierung in dieser Frage gespalten zu sein: Manche politischen Beraterinnen und Berater haben eine verpflichtende Nutzung vorgeschlagen, während andere auf einem freiwilligen Prinzip beharren.

Zu begrüßen ist abschließend, dass der Privatsektor zur Bewältigung der Covid-19-Krise beiträgt und dabei zweifellos gute Absichten hat. Doch angesichts der Tatsache, dass die Apps tendenziell von privaten Unternehmen entwickelt werden, deren Hauptziel der Profit ist, ist es wichtig, die Interessen der Bürgerinnen und Bürger und der öffentlichen Gesundheit im Auge zu behalten. In Österreich wurde die "Stopp Corona"-App des Österreichischen Roten Kreuzes von Accenture entwickelt, und mittlerweile sind auch Google und Apple an der Bereitstellung von Überwachungstechnologie zur Bewältigung der Krise beteiligt – mit ihnen gibt es derzeit eine Zusammenarbeit. Wenn wir also mit der App fortfahren, sollten wir sicherstellen, dass diese Unternehmen nicht die einzigen sind, die davon profitieren. (Mark Coeckelbergh, 19.5.2020)

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