Grünen-Politiker pflegen neben dem hohen Respekt vor der Natur auch ein Philistertum, in dem für die Agenden einer entschiedenen Kulturpolitik scheinbar kein Platz ist.

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Jetzt also doch. Ulrike Lunacek hat das Leben hinter der Charaktermaske des Technokratischen, mit der diese Regierung dem Feld der Kunst begegnet und die so viele in diesem Feld erzürnt hat, weil sie gerade in den Grünen einen potenziellen Verbündeten sahen, nicht mehr ausgehalten. Man wird ihr das zuletzt und zu Recht positiv anrechnen. Wäre Geschichte das Resultat einsamer Entscheidungen mehr oder weniger weiser Männer und Frauen, wäre diese zu Ende.

Beendet hat Ulrike Lunacek ihre Heldenreise durch die Politik mit einem dann doch nicht wirklich überraschenden Plot-Twist – um aus gegebenem Anlass Anleihen im Jargon des kreativen Schreibens zu nehmen. Im Untergang entschuldet die Tragödie noch die größten Untaten ihrer Protagonistinnen und Protagonisten. Man kann einwenden, gegenüber Ödipus oder Medea bleibt bei den Verfehlungen heutiger Politikerinnen und Politiker ziemlich viel Luft nach oben. Die entscheidende Frage aber ist nicht die des Sündenbocks, sondern wen sein Opfer reinwaschen soll. Da sieht es eher finster aus.

In einem Zeitalter aber, das der Tragödie längst entwachsen ist, kommt die Farce anders als im gernzitierten Bonmot von Marx vor der Tragödie und nicht danach. Der Schlussmonolog von Ulrike Lunacek, anders vermag man den geläuterten Ernst ihrer Rücktrittserklärung kaum benennen, ist in der Lage, viele ihrer Kritikerinnen und Kritiker nachträglich zu versöhnen. Sie ist im Grunde das Manifest einer anderen Regierungspolitik. Nein, lieber Lukas Resetarits, die Grünen aus dem Parlament zu wählen ist keine gute Idee. Man wird sie einmal im Beiboot heute noch nicht absehbarer Mehrheiten brauchen, um das, was ihre Regierungsbeteiligung hinterlässt, irgendwann wieder zu richten.

Kunst und Kultur als Gefahr

Aber, warum sagt sie das alles jetzt und nicht schon vor Wochen? Warum nehmen Grüne, sobald sie in der Regierungsverantwortung stehen, die Gestalt einer diskursverweigernden Technokratie an, gegen die noch vor einer Generation spätere Grüne auf die Straße gegangen und in der Au kampiert haben? Warum fremdeln Grüne mit dem kulturellen Feld, wo doch viele, die darin arbeiten, ihre gesellschaftspolitischen Vorstellungen teilen und sie gewählt haben?

Warum begegnet man Kunst und Kultur im Modus der Gefahrenabwehr? Die Versammlung im Theater erscheint als ökologisches Problem. Die aus dem Gleichgewicht geratene Natur schlägt zurück, der Mensch muss weichen. Dabei verkennt man künstlerische Praxis vollkommen, wenn man sie als Problem der großen Zahl betrachtet. Ihre interessantesten Manifestationen sind selten Massenveranstaltungen, haben oft räumliche Settings, die Grade von Distanzierung durchaus ermöglichen, manchmal sogar fordern.

Blick in die Zukunft

Dabei wäre für die Grünen gerade in den Kunstagenden einer jener Blumentöpfe zu gewinnen, mit denen sie einst ihre Pulte im Nationalrat geschmückt haben. Das Problem künftiger Gesellschaften besteht darin, dass die gesellschaftlich notwendige Arbeit zur Produktion sinkt und ihre Früchte à la longue anders zu verteilen sind. Vom bedingungslosen Grundeinkommen bis zur radikalen Arbeitszeitverkürzung formulieren unterschiedliche politische Philosophien widerstreitende Lösungsansätze.

Das Feld der Kunst erlaubt gewissermaßen einen Blick in die Zukunft. Die Arbeit dort erachtet die Gesellschaft als notwendig, auch wenn ein Markt, der sie nachfragt, nicht oder nur unvollständig vorhanden ist. Kunst und Kultur werden großteils öffentlich finanziert, um sie im Idealfall vom Primat der Ökonomie auszunehmen. Künstlerinnen und Künstler sollen gut arbeiten und erst dann drauf schauen, dass die Hütte voll wird. Dennoch hetzt öffentliche Kulturfinanzierung gleichsam im Akkordlohn von Projekt zu Projekt. Das ist so, als ob man die Feuerwehr fürs Ausrücken bezahlen würde, ihre Fertigkeit, Brände zu löschen, stillschweigend voraussetzt.

Autonomie versus Avantgarde

Grüne Kulturkonzepte plagen sich, wie alle Erben einer Linken des 20. Jahrhunderts, mit dem Widerspruch von Autonomie und Avantgarde in der Kunst. Ist sie frei oder im Dienste einer kommenden Gesellschaft? Obliegt ihre Beurteilung immanenten Qualitätskriterien oder gesellschaftspolitischen Prämissen? Man wird aus einer Staatsoper in ihren Fesseln des 19. Jahrhunderts keinen Hort der kulturellen Diversität der Gegenwart machen können. Wer eine andere Kultur will, muss ihrer Praxis Ressourcen und institutionelle Rahmungen geben. Die "bürgerliche Hochkultur" wird trotzdem nicht überflüssig, ihre Autonomie ist bis heute der Rahmen einer Kritik der bürgerlichen Gesellschaft.

Warum also plagen sich Grüne so sehr an diesem Gegenstand? Gibt es tatsächlich so etwas wie kulturpolitische Visionen, oder hat sich am Ende die Perspektive multikultureller Stadtteilfeste um 1990 nicht wesentlich weiterentwickelt? Sozialdemokraten hatten mal eine Vision, bevor ihnen der Arztbesuch empfohlen wurde. In den 1970er- und 1980er-Jahren hieß es "Kultur für alle". In der Ära Schröder/Blair war das Zauberwort "creative industries", sie sollten das postindustrielle Arbeitsplatzwunder bewirken, das bekanntlich ausblieb. Schwarz/ Türkis hat sehr wohl eine Vision. Man liest sie in der Regierungsübereinkunft: Kultur als Standortfaktor in der Globalisierung, der helfen soll, Edeltouristen und Fachkräfte ins Land zu bringen. Die grüne Handschrift liefert im Wesentlichen flankierende sozialpolitische Reparaturkonzepte.

Grünes Philistertum

Vielleicht muss man zum Verständnis des grünen Philistertums überhaupt bis zu den Wurzeln der Partei in der Ökologiebewegung der 1980er zurückgehen. In ihren Gründungsmomenten treffen denkbar widersprüchliche Kräfte aufeinander. Eine eher konservative, teilweise sogar rechte Protestbewegung störte sich nicht nur am Raubbau der bestehenden Wirtschaftsweise an der Natur, sondern lehnte das gesellschaftliche Projekt der Moderne von Grund auf ab.

Eine desillusionierte Linke erkennt das Ökologiethema als Vehikel für politische Wirksamkeit, nachdem aus der Sache mit der Revolution nichts wurde. Den einen war die gerade Linie naturwidriges Teufelszeug, den anderen Ausdruck kapitalistischer Herrschaft. Die Kritik der Moderne drohte einmal mehr ihr verborgenes emanzipatorisches Potenzial mit dem Bade auszuschütten. (Uwe Mattheiß, 16.5.2020)