Zwei Monaten dauerte die Pause in den Klassenräumen.

Foto: imago

Andreas Lechner, Generalsekretär der Mega-Bildungsstiftung.

Foto: ho

Der Corona-Shutdown hat das Bildungssystem kalt erwischt. Innerhalb weniger Tage musste der gesamte Unterricht in virtuelle Klassenzimmer transferiert werden. Was zunächst für drei Wochen geplant war, wurden für die Pflichtschüler letztendlich neun Wochen Distance-Learning. Schrittweise wurde das Schulsystem wieder hochgefahren. Seit vergangener Woche sind nun auch die Schulen für Pflichtschüler wieder offen. Für Andreas Lechner, Generalsekretär der Mega-Bildungsstiftung, birgt diese Phase auch die große Chance, Festgefahrenes im Bildungssystem zu durchbrechen.

STANDARD: Das Schulsystem hat in den vergangenen Wochen gezeigt, dass es beweglicher ist, als gemeinhin angenommen wurde. Was ist gut gelaufen in dieser Zeit? Was sind die Stärken in unserem Bildungssystem?

Lechner: Das waren für Eltern, Schüler, aber auch für die Lehrer insgesamt turbulente Wochen. Es gab aber vielerorts das Bewusstsein, dass schnell umzuschalten ist. Das finde ich schon beeindruckend. Sehr viele Lehrer und Schüler haben versucht, das Beste daraus zu machen. Es hat sich aber auch gezeigt, dass sich die digitale und soziale Schere weiter geöffnet hat. Dass diejenigen, die vorher schon Schwierigkeiten hatten, einen guten Kontakt zum Lehrer herzustellen und umgekehrt, es noch schwieriger hatten.

STANDARD: Die Beziehungsebene ist das eine, das andere ist das Equipment und Know-how, das man für digitales Lernen braucht ...

Lechner: Da gab es zum Teil große Unterschiede, und es hat sich auch gezeigt, dass Dinge wie Laptops und Computer nicht in jedem Haushalt und für jeden Schüler verfügbar sind. Und auch von Lehrer zu Lehrer gab es sehr unterschiedliche Vorkenntnisse, wie das Ganze online ablaufen kann. Es gibt einige Tablet-Klassen, die schon in der Vor-Corona-Zeit gute Erfahrungen damit gemacht haben, aber der überwiegende Anteil von Lehrern und Schülern hatte mit digitalem Unterricht noch kaum oder überhaupt keine Berührungspunkte.

STANDARD: Was wären wichtige Hebel, um Chancengerechtigkeit nachhaltig zu gewährleisten?

Lechner: Die technische Ausstattung ist wichtig. Aber viel wichtiger ist noch, dass wir auch die besten und engagiertesten Lehrer auch für Brennpunktschulen motivieren können. Neben Chancengerechtigkeit liegt der Schlüssel künftigen Lernens bei mehr Selbstorganisation und Eigenverantwortung – altersgerecht und in richtigen Dosen. Das haben einige Schüler gerade gezeigt. Darin schlummert auch eine große Chance, weil dadurch die Freude am Lernen entwickelt und langfristig erhalten werden kann.

STANDARD: Was soll von der Corona-Zeit im Bildungssystem noch erhalten bleiben?

Lechner: Ich kann mir vorstellen, dass Corona die wirksamste Bildungsreform der letzten Jahrzehnte werden könnte, weil sich grundlegend etwas in der Lehrerrolle und auch in der Schülerrolle geändert hat. Ich sehe vor allem, dass die Lehrertätigkeit weg vom Wissensvermittler hin zu einem Lernbegleiter und Umgebungsgestalter geworden ist. Es gibt jetzt die große Chance für einen Kulturwandel und auch für ein neues Rollenverständnis.

STANDARD: Als wie groß sehen Sie die Chancen auf Verwirklichung?

Lechner: Es wird sich in den nächsten Wochen und Monaten zeigen, wie sich die Schulen als Ort des Lernens neu erfinden. Ob man wieder zurück in alte Lernmuster fällt oder ob man sich hinsetzt und gemeinsam überlegt, welche Dinge gut funktioniert haben, und diese dann weiterentwickelt. (Gudrun Ostermann, 28.5.2020)