Publikumsrat Andreas Kratschmar (links, hier im Bild mit Kommunikationswissenschafter Matthias Karmasin) sieht "bei Objektivität und Meinungsvielfalt Handlungsbedarf" im ORF.

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Wie zufrieden ist das ORF-Publikum mit der Meinungsvielfalt im öffentlich-rechtlichen Rundfunk? Der Publikumsrat hat das Meinungsforschungsinstitut Sora 1219 repräsentative ausgewählte Menschen darüber befragen lassen. ORF-Publikumsrat Andreas Kratschmar sieht hier "Handlungsbedarf", erklärte er am Donnerstag bei der Präsentation der Studie im Plenum des ORF-Gremiums.

Die von 15. Oktober bis 8. November 2020 durchgeführte Studie zeigt für Kratschmar, "dass bei Objektivität und Meinungsvielfalt für den ORF Handlungsbedarf besteht". Mehr Meinungsvielfalt sei dabei ein wichtiger Hebel für mehr Objektivität. Nach den Befunden von SORA hänge "Berichterstattung aus mehreren Blickwinkeln" in der Publikumswahrnehmung am stärksten mit Objektivität/Sachlichkeit zusammen. Kratschmar ist Vorsitzender des Programmausschusses des Publikumsrats und vom ÖVP-Bildungsinstitut in das ORF-Gremium entsandt.

Berichterstattung nicht nur aus einem Blickwinkel

Für 49 Prozent der von Sora Befragten sei die Anforderung "Die Berichterstattung erfolgt nicht nur aus einem Blickwinkel. Es werden immer auch mehrere Standpunkte betrachtet." sehr wichtig und für 32 Prozent eher wichtig. Nur 19 Prozent fänden aber, dass der ORF diese Anforderung in seiner Berichterstattung "sehr" erfüllt, für 34 Prozent "eher".

"Die Berichterstattung ist objektiv und sachlich" – das trifft nach Ansicht von 25 Prozent "sehr" auf die ORF-Berichterstattung zu, für 35 Prozent "eher". Für 66 Prozent sei dieser Punkt nach eigenen Angaben sehr und für 19 Prozent eher wichtig.

Vor übrigen Medien

In der Auswertung der Sora-Umfrage werden auch die Werte für Meinungs -und Themenvielfalt zwischen ORF und den übrigen Medien in Österreich verglichen. Bei "objektiver und sachlicher" Berichterstattung und "Berichterstattung nicht nur aus einem Blickwinkel" liegt der ORF sehr deutlich und am weitesten vor dem Schnitt der übrigen Medien. Auch in allen weiteren Items in dieser Auswertung von "breite Vielfalt an Themen" bis "verschiedene gesellschaftliche Gruppierungen kommen zu Wort" liegt der ORF vor den übrigen Medien.

"Corona-Resolution" und "Angstberichterstattung"

Der Publikumsrat lobt in einer Resolution "fundierte und seriöse Information" als den "relevanten Beitrag" des ORF zur erfolgreichen Bekämpfung des Covid-19-Virus in Österreich. Im Publikumsrat gab es am Donnerstag auch einige Kritik an zu regierungstreuer, zuwenig hinterfragender Berichterstattung in den ersten Wochen nach dem Shutdown. Publikumsrat Georg Watschinger sprach etwa von "Angstberichterstattung".

Die weitere Resolution erinnert den ORF (Wortlaut):

"Öffentlich-rechtlicher Qualitätsjournalismus ist gerade – aber nicht nur – in solchen Krisensituationen mit Blick auf widersprüchliche Befunde, "Fake News" und grassierende Verschwörungstheorien von zentraler Bedeutung. Anspruch muss es sein, bei komplexen inhaltlichen Fragestellungen unterschiedliche Positionen differenziert darzustellen und damit einen Beitrag für eine sachliche und breite gesellschaftliche Diskussion zu leisten. Entscheidend dabei ist die Glaubwürdigkeit einer objektiven und unabhängigen Berichterstattung, wie auch die letzten Umfragen des Publikumsrats zeigen.

Der ORF sollte das in der Krise gewachsene Vertrauen als Ansporn zu einer ständigen Weiterentwicklung und Verbesserung begreifen.

Im Rahmen der Corona-Berichterstattung hat sich aus Sicht des ORF-Publikumsrats insbesondere auch die fundierte ORF-Wissenschaftsberichterstattung bewährt, deren Ausbau der Publikumsrat bereits in einer Empfehlung gefordert hat und der auch über die Krise hinaus fortgeführt werden sollte.

Wesentliche Impulse hat der ORF während der Corona-Krise auch im Programmangebot für Kinder und Jugendliche gesetzt ("Freistunde"), was nun ebenfalls im Sinn der Forderungen des Publikumsrats (z.B. Nachrichten für Kinder, Forscher-Express) entsprechend weiterentwickelt werden soll.

Die in der Krise geänderten Rahmenbedingungen in der Produktion sollten – nicht zuletzt angesichts der fordernden wirtschaftlichen Rahmenbedingungen – dahingehend überprüft werden, inwieweit sie einen Beitrag zur Effizienzsteigerung im Regelbetrieb leisten können."

(fid, 4.6.2020)