Raus darf nur, wer es selbst zur Tür schafft, gilt in einigen Heimen.

Foto: Regine Hendrich

Wie ein Marsmännchen sähe er in all der Schutzkleidung aus, die er anziehen müsste, wollte er seine Mutter besuchen, sagt ein Mann, der anonym bleiben will. Weil Angehörige von Alters- und Pflegeheimbewohnern befürchten, dass ihren Familienmitgliedern Nachteile entstehen, wenn sie mit Medien sprechen, wollen viele von ihnen nicht namentlich genannt werden.

Der Mann hat seine Mutter seit Mitte März nicht mehr gesehen, zweimal die Woche bringt er ein Paket in das private Wiener Pflegeheim, in dem sie liegt. Dann geht er vorbei an jenen Bewohnern, die mobil sind und den nächsten Würstelstand besuchen. Sitzen oder gar gehen könne die Mutter nicht, sagt er, ein Spaziergang sei nicht denkbar. Und ein Marsmännchen will sie nicht im Zimmer.

Flickenteppich von Regelungen

Auch wenn es seit Ende Mai die Empfehlung des Gesundheitsministeriums gibt, die Besuchsregeln zu lockern, herrschen unterschiedliche Vorschriften. In Wien etwa sind per Verordnung Besuche von Personen mit Verdachtssymptomen verboten, die jeweiligen Einrichtungsleiter können aber Zugangsregelungen festlegen. Besuche dauern daher je nach Heim von ein paar Minuten bis zu ein paar Stunden, Wartelisten können wochenlang sein oder gar nicht vorhanden.

Außerdem sind und waren laut Gesetz Ausgänge der Bewohner stets möglich, doch in einigen Häusern des Wiener Gesundheitsverbunds (ehemals KAV) gehe das nur, wenn die Person so mobil ist, dass sie alleine zur Eingangstür kommen kann, heißt es von mehreren Quellen. "Damit sind wir noch weit vom Optimalzustand entfernt", sagt Michael Hufnagl vom Vertretungsnetz, das Freiheitsbeschränkungen überprüft. Im Wiener Gesundheitsverbund heißt es dazu, man kläre "individuell ab, ob in Einzelfällen aus medizinischen und hygienischen Gründen ein Verlassen des Hauses nicht zu empfehlen ist", und verweist zudem auf die hauseigenen Gärten.

In den Wiener Häusern zum Leben, die während der Pandemie in die Schlagzeilen gerieten, als bekannt wurde, dass es auch ohne behördliche Anordnung zu Quarantänemaßnahmen gekommen war, ist man nun recht liberal: Wer mobil ist, könne stets raus, andere würden von Zivildienern unterstützt.

Runder Tisch und Petition

Das Gesundheitsministerium sprach am Mittwoch bei einem runden Tisch mit Heimträgern und Kontrollorganen über die weitere Öffnung von Pflege- und Behindertenheimen. Im Fokus der Diskussion standen "der Schutz der Menschen einerseits, aber auch die Wahrung ihrer Rechte andererseits", heißt es tags darauf aus dem Ministerium, die Rückmeldungen sollen in weitere Lockerungsschritte einfließen.

Kontrollorgane wie die Volksanwaltschaft und das Vertretungsnetz – auch sie saßen mit am Tisch – haben ihre Besuche wiederaufgenommen. Schon im April berichtete die Volksanwaltschaft davon, dass sich täglich Heimbewohner melden würden, denen de facto verboten werde, das Heimgelände zu verlassen. Die bisherigen Verordnungen seien in einzelnen Heimen sehr restriktiv gehandhabt worden, sagt Volksanwalt Bernhard Achitz, man sei nun gespannt, wie bürgerfreundlich weitere Lockerungen umgesetzt werden. In jedem Fall aber, so Achitz, werden Covid-Maßnahmen im nächsten Prüfbericht ein dickes Kapitel einnehmen.

Mehrere Angehörige von Heimbewohnern haben nun eine Petition gestartet. Darin fordern sie "eine einheitliche, klare und menschenwürdige Regelung für alle Betreuungseinrichtungen", etwa Besuche ohne Plexiglaswand und in den eigenen Zimmern. Der Titel: "Pflegeeinrichtungen dürfen keine Gefängnisse sein", über 300 Menschen haben bis Donnerstag unterzeichnet. Denn: "In der jetzigen Situation sind Besuche mehr Drama als Freude", sagt eine der Initiatorinnen. (Gabriele Scherndl, 4.6.2020)