David Diop: "Nachts ist unser Blut schwarz"
€ 19 / 160 Seiten
Aufbau, 2019

An die 180.000 Soldaten aus dem Senegal wurden im Ersten Weltkrieg für die französische Armee eingezogen. 30.000 von ihnen starben an der Front von Nord- und Ostfrankreich bei den Schlachten gegen die deutsche Armee. Dorthin hat es auch David Diops Romanhelden Alfa Ndiaye und seinen Freund Mademba Diop verschlagen. Gemeinsam erleben sie die Gräuel des Krieges. Bei einer Angriffsattacke wird Mademba von einer Granate schwer verwundet. Im Sterben liegend, fleht er seinen Freund an, dem Leiden ein Ende zu machen, ihn zu töten. Doch Alfa zögert. Dieser Bitte kann er nicht nachkommen. "Bei der Wahrheit Gottes, wäre ich schon gewesen, der ich heute bin, hätte ich ihm die Kehle durchgeschnitten wie einem Opferschaf, aus Freundschaft." Mademba, der wie der Autor den Namen "Diop" trägt, stirbt unter Qualen. Die Schreie wird Alfa nie mehr los. Sie verwandeln sein Wesen.

Perfidie der kriegerischen Vorstellungswelt

Die Franzosen statteten ihre afrikanischen Soldaten mit einer Machete aus. Das sollte dem deutschen Gegner vor Augen führen, dass diese wilden "Schokosoldaten" noch andere Dinge mit ihnen anstellen könnten als zu schießen und Granaten zu werfen. Alfa nimmt seine Machete in die Hand und bestätigt das, was sein Hauptmann und die Kameraden von ihm denken: Als ein "Wilder" kriecht er nachts – "wenn der dunkle Himmel den schwarzen Mann beinahe unsichtbar macht" – aus seinem Schützengraben. Er schleicht zu den feindlichen Linien, holt sich einen Deutschen, schneidet ihm die Kehle durch. – "Und für uns alle gilt: Nachts ist unser Blut schwarz." Und dann hackt er dem Toten mit der Machete die rechte Hand ab. Alfa sucht die Hand desjenigen deutschen Soldaten, der die tödliche Granate auf seinen Freund geschleudert hat. Und weil er diese eine Hand nicht finden kann, tötet Alfa Nacht für Nacht einen anderen Deutschen, nimmt die Hände als Trophäen mit. Aus Angst vor diesem wild gewordenen "Wilden" schickt der Hauptmann Alfa Ndiaye auf Fronturlaub in ein Hospital. Die letzten Worte, die der Hauptmann an Alfa richtet, offenbaren die Perfidie der kriegerischen Vorstellungswelt: "Wenn du wieder einsatzbereit bist, kommst du zurück. Du musst mir versprechen, dass du die Feinde nicht mehr verstümmelst, verstanden? Du musst sie einfach nur töten, nicht verstümmeln. Im zivilisierten Krieg ist das verboten. Verstanden?"

David Diop ist ein Roman gelungen, der verstört und erschüttert. Es ist nicht bloß ein Kriegsroman, sondern ein Text, der einen zwingt, sich mit der Kolonialpolitik und mit dem Phänomen der Fremdartigkeit auseinanderzusetzen. Diop lässt Alfa in Wiederholungen sprechen, stets sein "Bei der Wahrheit Gottes …" anhebend. Damit verweist Diop auf die orale Tradition afrikanischer Erzählkunst. Das Buch ist gar keine genüssliche Lektüre. Dem Sog des Erzählens und der Tragik dieser Geschichte können sich nur Hartherzige entziehen. (Andreas Puff-Trojan, 6.6.2020)