Eine halbe Million Menschen zog vergangenes Jahr bei der 24. Regenbogenparade über die Wiener Ringstraße. Noch nie zuvor waren so viele Menschen in Österreich bei dem Event und feierten und demonstrierten für die Rechte von lesbischen, schwulen, bi-, trans-, intersexuellen sowie queeren (LGBTIQ) Menschen in der zwei Kilometer langen Parade. Nie zuvor gab es so viele angemeldete Wagen und Fußgruppen: 107 solcher Beiträge waren dabei – um 60 Prozent mehr als im Jahr 2018.

An die Parade der Rekorde wollten die Organisatoren heuer anknüpfen. Bis zuletzt sei man mit den Behörden, anderen Pride-Veranstaltern weltweit und dem Vorstand der European Pride Organisers Association in Kontakt gewesen, um die nationale und internationale Entwicklung der Coronavirus-Krise täglich zu bewerten. Im März fiel schließlich die Entscheidung: Die 25. Wiener Regenbogenparade, die für 13. Juni angesetzt war, wird es heuer so nicht geben können. "Die Gesundheit hunderttausender Menschen und unserer Community hat absolute Priorität", hieß es von den Veranstaltern. Und: "Es fehlt die nötige Planungssicherheit."

Zur Regenbogenparade 2019 kamen rund 500.000 Menschen, um für die Rechte der LGBTIQ-Community zu demonstrieren und um zu feiern.
Foto: Christian Fischer

Alternativer Regenbogen

Doch die Regenbogenparade ist nicht das Einzige, was wegen der Corona-Bestimmungen abgesagt werden musste: Auch zahlreiche Veranstaltungen und das viertägige Pride Village finden heuer nicht statt. Um den Ausfall wettzumachen, gibt es allerdings Alternativangebote. In Wien wird trotz Gesundheitskrise der Juni als "Regenbogenmonat" gefeiert. Anfang des Monats wurden das Rathaus und andere Einrichtungen der Stadt daher mit der Regenbogenfahne beflaggt, auch die Straßenbahnen fahren unter dem Regenbogen als Symbol der LGBTIQ-Bewegung.

Kommende Woche soll zudem ein dritter Schutzweg in Regenbogenfarben gestaltet werden: Der erste führt seit vergangenem Jahr zwischen Burgtheater und Rathausplatz über den Ring, einen weiteren gibt es seit kurzem auf der Währinger Straße beim Kutschkermarkt. Jetzt entsteht ein bunter Zebrastreifen in Mariahilf.

Am Samstag, dem Tag der ursprünglich geplanten Regenbogenparade, soll der Rathausplatz ein Ort für die LGBTIQ-Bewegung sein. "Wien hält den Rathausplatz für die LGBTIQ-Community frei", erklärte Stadtrat Jürgen Czernohorszky (SPÖ) dazu.

Der Verein "Sisters – für queer-feministische Kunst und Kultur" richtet am selben Tag die "erste Fensterlparade" aus. Die Corona-Krise habe auch die LGBTIQ-Community stark getroffen. Vereine mussten temporär schließen, Beratungsstellen waren nur eingeschränkt erreichbar, queere Räume haben gefehlt, heißt es von den Veranstaltern. "Von einem Tag auf den anderen waren wir unsichtbar", sagt Lisa Holzinger vom Verein Sisters.

Das "Gefühl der Unsichtbarkeit" sei vielen tief in den Knochen gesessen. Dieses Gefühl soll weichen: Der Balkon, das Fenster, die Haustüre sollte für die Parade daheim geschmückt werden. Ab 14 Uhr sollte dort getanzt, gefeiert, mitgemacht werden. "Mach dich bemerkbar – sofern du dich wohl damit fühlst", rief der Verein auf. Zahlreiche Menschen beteiligten sich, darunter auch Bundespräsident Alexander Van der Bellen.

Der Bundespräsident postete auf seinen Social-Media-Kanälen ein kurzes Video von sich beim Entrollen einer großen Fahne auf einem Balkon der Hofburg. "Lassen Sie uns für Respekt und Akzeptanz der Vielfalt eintreten sowie gegen Diskriminierung und Rassismus. Verteidigen wir Grund- und Freiheitsrechte! Nur wenn Menschen für ihre Rechte eintreten, kann die Welt zu einem besseren Ort werden", schrieb er unter dem zu der Aktion gehörenden Hashtag #fensterlparade2020.

Übergriffe und Belästigungen

Das Problem der Unsichtbarkeit ist aber nicht das einzige, mit dem LGBTIQ-Menschen zu kämpfen haben. Viele sind nach wie vor mit Angst, Gewalt und Diskriminierung konfrontiert, wie eine aktuelle Befragung der EU-Agentur für Grundrechte (FRA) mit 140.000 Teilnehmern zeigt. Die im Jahr 2019 durchgeführte Erhebung bildet die Situation in den 27 Mitgliedsstaaten der EU sowie in Großbritannien, Serbien und Nordmazedonien ab. Aus Österreich nahmen 2.315 Personen teil. 40 Prozent der befragten LGBTIQ-Personen aus Österreich haben sich in den vergangenen zwölf Monaten wegen ihrer sexuellen Identität mindestens einmal diskriminiert gefühlt, im EU-Schnitt waren es 42 Prozent.

33 Prozent erklärten, im vergangenen Jahr belästigt worden zu sein – der EU-Schnitt liegt bei 38 Prozent. Elf Prozent erlebten in den vergangenen fünf Jahren einen physischen oder sexuellen Übergriff, was genau dem EU-Mittel entspricht. Etwas über dem Schnitt liegt aber die Häufigkeit dieser Übergriffe: 13 Prozent antworteten, das sei sechsmal oder öfter der Fall gewesen.

2019 erhielt Wien den ersten Schutzweg im Regenbogenlook am Ring. Heuer soll ein weiterer Zebrastreifen in Mariahilf eingefärbt werden.
Foto: APA/HANS KLAUS TECHT

Global Pride online

Um auf die Lage von LGBTIQ-Personen in Österreich und darüber hinaus aufmerksam zu machen, ist für den 27. Juni die "Global Pride" angesetzt. Diese soll ein weltweites Livestream-Event werden. In Wien sind dafür auch ein Public-Viewing-Angebot der Beiträge und ein Regenbogen-Corso am Ring angemeldet.

Abgerundet wird der Regenbogenmonat mit einer Präsentation: Am 30. Juni soll der Siegerentwurf für das Denkmal für Opfer der Homosexuellenverfolgung in der NS-Zeit vorgelegt werden. Umgesetzt wird das Denkmal im Resselpark. (Oona Kroisleitner, 11.6.2020)