Lebewesen in Gruppen einteilen, ein durchaus aufwendiger Prozess.

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Die Taxonomie ist ein Zweig der Biologie, der sich damit befasst, wie Lebewesen in Gruppen zusammengefasst und damit geordnet werden können. Über die jeweiligen Mitglieder einer solchen Gruppe herrscht jedoch oft große Uneinigkeit – ein Manko, dem eine internationale Runde von Wissenschaftern nun Abhilfe schaffen will. Mit dabei sind auch Mitarbeiter des Naturhistorischen Museums (NHM) Wien.

Ein Ergebnis taxonomischer Arbeiten sind Listen, die festhalten, welche Arten zu einer bestimmten Gruppe gehören und welche nicht. Das können z. B. Listen von Pilzen, Pflanzen, Fischen, Säugetieren usw. sein. Nun sollte man annehmen, dass es vor allem für Spezialisten nicht besonders schwierig ist, die entsprechenden Zugehörigkeiten festzustellen, aber so einfach ist das in der wissenschaftlichen Praxis nicht: Arten, die in verschiedenen Weltgegenden vorkommen, können sich oft deutlich voneinander unterscheiden.

Manche Forscher sehen die beiden Varianten dann als Unterart an, andere hingegen als örtliche Variation derselben Art. Außerdem gibt es Spezies, die erst seit relativ kurzer Zeit getrennt sind oder gerade eine Aufspaltung in mehrere Arten durchmachen. Auch ihre Beurteilung verläuft nicht bei allen Taxonomen gleich.

Keine vollständigen Listen

Während für manche weniger bekannte Gruppen, wie z. B. viele wirbellose Tiere, keine vollständigen Listen vorliegen, gibt es für viele gut untersuchte gleich mehrere. "Allein für die Vögel sind derzeit vier große Listen in Gebrauch", weiß Frank Zachos, Kurator der Säugetiersammlung am NHM. Das kann zu Problemen führen, etwa wenn eine Art, die z. B. nach dem Washingtoner Artenschutzabkommen geschützt ist, in einer Roten Liste nicht oder unter einem anderen Namen geführt wird. Aus diesem Grund hat sich im Vorjahr eine internationale Gruppe von rund 20 Wissenschafterinnen und Wissenschaftern zusammengeschlossen, um für mehr Klarheit in der Taxonomie zu sorgen.

Unter der Schirmherrschaft der International Union of Biological Sciences (IUBS), laut Zachos "eine Art Vereinte Nationen der biologischen Wissenschaften", erarbeiten sie Kriterien, nach denen für die großen Artenkomplexe jeweils eine einzige Liste und damit schließlich eine umfassende Liste aller Lebewesen erstellt werden soll. Das Chaos sollte dann ein Ende haben.

Die erste Arbeit mit recht weit gefassten Vorschlägen dazu ist kürzlich im renommierten Magazin PLOS Biology erschienen, weitere, deutlich detailliertere sollen folgen. Dabei geht es, wie Zachos betont, nicht darum, selbst Listen zu erstellen. Vielmehr ist es das Anliegen der Arbeitsgruppe, dass bei deren Erstellung bestimmte Qualitätskriterien garantiert sind. Als Beispiel bringt Zachos die vier Vogellisten: "Daraus soll eine einzige Liste entstehen, und dabei muss klar sein, wer mitgewirkt hat, welche Kriterien dabei ausschlaggebend werden usw. Wir wollen eine Art Gütesiegel für die Taxonomie."

Offene Diskussion verpflichtend

Ganz wichtig dabei: "Die Freiheit der Wissenschaft muss unbedingt gewahrt bleiben", betont Zachos. Soll heißen: Jeder Forscher hat das Recht auf seine eigene Meinung darüber, wie eine bestimmte Art einzuordnen ist, er muss nur imstande und willens sein, diese Meinung für andere Taxonomen nachvollziehbar zu argumentieren. Auch der Entscheidungsfindungsprozess, der zur Entstehung einer Liste führt, spielt eine Rolle: "Es geht zum Beispiel nicht, dass zwei Forscher ihre Meinung ohne entsprechende Diskussion mit anderen Beteiligten durchgesetzt haben", erklärt Zachos.

Auch angesichts der Bedrohungen, der die Artenvielfalt derzeit ausgesetzt ist, wäre eine einheitliche Liste von Vorteil, denn die Listen bilden in vielen Fällen die Basis für entsprechende Schutzgesetze. Da sich die Kenntnis über Arten im Lauf der Zeit naturgemäß ändert – manche Arten sterben aus, andere werden neu entdeckt, oder neue Erkenntnisse werden gesammelt –, wird die Liste einerseits laufend aktualisiert, andererseits sollen frühere Versionen archiviert werden, um Änderungen nachvollziehen zu können.

Und weil das Erstellen von Artenlisten eine langwierige Arbeit ist, die große Fachkenntnis erfordert, sollen auch die daran beteiligten Forscherinnen und Forscher entsprechend gewürdigt werden. "Die müssen in den Listen auftauchen", meint Zachos. (Susanne Strnadl, 12.7.2020)