Hat sich und die Wirtschaftsuniversität mit einer 19 Jahre alten Dissertation in die Bredouille gebracht: die Blockchain-Expertin Shermin Voshmgir.

Hutan Vahdani

Shermin Voshmgir gilt als eine der wichtigsten Blockchain-Expertinnen im deutschsprachigen Raum. Die österreichische Wissenschafterin mit iranischen Wurzeln hat es in den letzten Jahren in ihrem gehypten Tätigkeitsfeld zu einiger Bekanntheit gebracht und wurde medial schon als "Blockchain-Queen" geadelt. Auch im STANDARD gab es Interviews mit der Forscherin, die im Vorjahr das viel beachtete Buch "Token Economy: Wie Blockchain & Smart Contracts das Internet revolutionieren" vorlegte. (Die englische Version erschien bereits in zweiter Auflage.)

Kürzlich allerdings hat die Wirtschaftsuniversität Wien ihrer Mitarbeiterin – Voshmgir war 2018 Gründungsdirektorin des WU-Instituts für Kryptoökonomie – das Doktorat entzogen, wie vor wenigen Tagen aufgrund eines Berichts in der FAZ bekannt wurde. Das doppelt Pikante an der Sache: Erstens war die Einrichtung des Instituts eines der letzten Projekte von Harald Mahrer als damaliger Wissenschaftsminister und wurde als Kernstück der Agenda Blockchain Austria mit einer halben Million Euro gefördert. Und zweitens war es die WU Wien selbst, die Voshmgir 2001 den Doktortitel verliehen hatte.

Schwere Vorwürfe auf "VroniPlag Wiki"

Im Jänner dieses Jahres waren auf der Plattform VroniPlag Wiki, die selbsttätig und anonym Abschlussarbeiten, vor allem von Prominenten wie Karl-Theodor zu Guttenberg, Plagiatsprüfungen unterzieht, schwere Vorwürfe gegen die Forscherin laut geworden: Ihre Dissertation weise über viele Seiten Plagiate bzw. Textstellen auf, die nicht angemessen mit Zitaten belegt würden. Konkret gebe es auf mindestens 100 von 111 Seiten dieser Arbeit Textparallelen, die als Plagiat angesehen werden könnten.

Die WU Wien tat allem Anschein nach das, was in einem solchen Verdachtsfall zu tun ist – auch wenn die Auskünfte seitens der WU-Pressesprecherin Cornelia Moll über die unangenehme und noch unabgeschlossene Causa anonymisiert und etwas kryptisch erfolgten: Voshmgir, die in Wien und Berlin lebt, wurde nach einer internen Prüfung vom Dienst freigestellt; zugleich erfragte das Rektorat von der unabhängigen Österreichische Agentur für wissenschaftliche Integrität (ÖAWI), die 2008 unter anderem für solche Causen gegründet worden war, die Namen von geeigneten Gutchtern.

Gutachten und Aberkennung

Die WU holte, wie sich auch dank eines Berichts des Start-up-Fachmediums "Der Brutkasten" rekonstruieren lässt, zwei externe Gutachten ein, die anscheinend bestätigten, was VroniPlag Wiki behauptet hatte. Das wiederum führte dazu, dass die WU Wien den Doktortitel aberkannte – zumindest vorläufig. Denn die Forscherin will laut eigenen Aussagen in einem ausführlichen "Brutkasten"-Interview innerhalb der Einspruchsfrist gegen den Bescheid berufen. Sie gesteht zwar ein, schlampig gearbeitet zu haben, verweist aber unter anderem darauf, dass sie ihre Dissertation – obwohl damals nicht nötig – online zugänglich gemacht und ergo nichts zu verbergen gehabt habe.

Die minutiösen Analysen von Vroniplag Wiki, die hunderte Arbeitsstunden gekostet haben müssen, zeichnen allerdings ein anderes und ziemlich eindeutiges Bild: Weite Teile der Arbeit, die sich unter dem Titel "Assessing the impact of XML/EDI with real option valuation" dem semantischen Web und der Realoptionspreistheorie widmet, scheinen entweder wörtlich oder paraphrasierend abgekupfert zu sein – vor allem von einer schwedischen Masterarbeit, die ein gewisser Pontus Norman zwei Jahre zuvor am Institut für Teleinformatik der Königlichen Technischen Hochschule in Stockholm eingereicht hatte. (Die Arbeit Normans wird von Voshgmirs auch im Literaturverzeichnis nicht einmal erwähnt.)

Plagiatsfleckerlteppich der Dissertation Shermin Voshmgirs laut VroniPlag Wiki: Graue Stellen markieren ein "Komplettplagiat"(Copy & Paste), rote Stellen bedeuten "Verschleierung" (leicht modifizierte Passagen ohne Quellenangabe); gelbe Stellen stehen für "Bauernopfer": Die Quelle sei zwar angegeben, das wahre Ausmaß der Übernahme aber unklar (Stand Ende Juni 2020).
Grafik: Vroniplag Wki

Zusätzlich zum Plagiatsfall an sich ist noch ein weiteres Faktum etwas peinlich für die WU: Die beiden damals begutachtenden Professoren beurteilten die Arbeit 2001 mit "Sehr gut". Alfred Taudes, einer der beiden Gutachter, verweist in einem vor wenigen Tagen um 3:50 Uhr morgens abgeschickten Tweet auf andere Standards vor 19 Jahren und hält die Arbeit – jedenfalls für die damalige Zeit – für innovativ.

Auch Voshmgir setzt in ihrer Rechtfertigung unter anderem auf das Argument, dass die Standards für wissenschaftliche Abschlussarbeiten damals andere gewesen seien.

Diese Argumentation dürfte sich freilich nur schwer halten lassen, wie auch die WU Wien bestätigt, zumal Doktoranden und Doktorandinnen schon damals ehrenwörtlich versicherten, "die Dissertation selbstständig verfasst" und "andere als die angegebenen Quellen und Hilfsmittel nicht benutzt" zu haben (nachzulesen auch im hochgeladenen PDF der Dissertation).

PS: Fußnotendank statt Koautorenschaft

Womöglich haben damals an der WU Wien allerdings in grundsätzlichen Fragen "ethischer Autorenschaft" etwas andere Maßstäbe gegolten als heute – jedenfalls für die Spitze der Universität. So wurden just 2001 im Wissenschaftsmagazin "Heureka" Vorwürfe gegen den damaligen Rektor Hans Robert Hansen laut: Institutsmitarbeiter hätten in beträchtlichem Ausmaß zu einer überarbeiteten Version von dessen Lehrbuchbestseller "Wirtschaftsinformatik" (damalige Gesamtauflage: 370.000) beigetragen. Das brachte ihnen freilich nur Dank in einer Fußnote des Wälzers ein, schlug sich aber nicht in einer Koautorenschaft nieder.

"Die Mitarbeiter leisteten lediglich Vorarbeiten", rechtfertigte sich der Rektor damals: "Das ist eine völlig normale Hilfestellung, das gibt es in der Wissenschaft hundertfach." (tasch, 17.7.2020)