"Ohne Farben kein Licht": In seinem dritten Auferstehungszyklus wollte Nitsch das Licht einfangen.
Foto: Hermann Nitsch / Manfred Thumberger

"Blumenfleisch" – dieser Begriff ist es, der die neuen Arbeiten des Wiener Malers und Aktionskünstlers Hermann Nitsch am besten beschreibt: "Es ist ein wunderschöner und berauschender Vorgang, in das Eingeweide der schönen Farben zu greifen", erklärt der 81-Jährige.

Jene Farben mischte er nach Vorbild der zarten Färbung von Frühlingsblumen wie Gladiolen und Pfingstrosen. Von ihnen inspiriert, erweiterten sie seine Farbpalette um ungewohnt helle Töne. In diese fasst Nitsch mit beiden Händen hinein, knetet sie, wie die Tiereingeweide bei seinen berüchtigten Aktionen und trägt sie in pastosen Farbwülsten auf die Leinwand auf. Blumenfleisch eben.

Seit Anfang Juli ist jener neue Werkzyklus im Mistelbacher Nitsch-Museum zu sehen. Einige dieser in seiner 81. und 82. Malaktion entstandenen Arbeiten schuf Nitsch vergangenes Jahr, den Großteil aber allein dieses Frühjahr in seinem Atelier im Schloss Prinzendorf. Die etwa 80 großformatigen Aktionsbilder werden nun in einer andächtig-pompösen Inszenierung offenbart. Eine mystische Stimmung erfüllt die meterhohe Haupthalle des Museums, in der von Nitsch verfasste Orgelmusik ertönt. Der Universalkünstler selbst hat ebendort – ähnlich einem Hohepriester – Platz genommen. Vor ihm ergießt sich eine pulsierende Farborgie in den Raum.

An den Seitenwänden reihen sich üppige Farbkompositionen aneinander. Die Referenz an die Blumen ist offensichtlich, ihr Innerstes scheint sich förmlich herauszustülpen: In hellem Rosa, Gelb, Orange, Lila – und erstmals ungemischtem Weiß – leuchten geschmierte und mit glänzender Oberfläche überzogene Wirbel.

Der große Nitsch als Hohepriester des Farbklangs.
Foto: nitsch museum / Renate Heger

Es ging darum, das Licht einzufangen, erklärt Nitsch. "Denn ohne Licht gibt es keine Farben." Andere Bilder, die sich aus dem bekannteren rot-grün-braunen Farbspektrum speisen, muten fast figurativ an und erinnern an gewundene Gedärme. Weniger präsent als früher befindet sich unter der Farbschicht aber das echte Blut – und wird wieder zur Farbe.

Strahlendes Gelb und pures Weiß mischen sich zu einem lodernden Lichtspiel: Erhaben drängt sich ein Bild tatsächlich fast leuchtend über die Ränder der anderen. Das Thema der Auferstehung sei in diesem nun dritten Auferstehungszyklus – 20 Jahre nach dem ersten – am wichtigsten.

Unverwüstliche Altäre

Bei dem Leuchten der Farbe Gelb denke Nitsch immer an den schier blendenden Christus-Schein in der Auferstehung auf dem Isenheimer Altar von Matthias Grünewald. "Da glaube ich immer, er lacht." Dennoch lege sich Nitsch mit dem Begriff der Auferstehung nicht auf die christliche Religion fest. Für ihn seien alle Glaubensrichtungen gleich von Interesse, sagt er. "Mit meinen Arbeiten möchte ich die Geschichte des Bewusstseins nacherzählen."

An den Stirnwänden, die lange verdeckt waren, jetzt freigelegt und neu gestaltet wurden, rinnen schmale Farbbäche zu Boden. Sie binden die Farbkompositionen der Schau zusammen, fangen ihre Präsenz wie unverwüstliche Altarvorhänge auf. Davor liegen Priestergewänder über Holzgestelle drapiert und auf den Boden gebreitet.

Die hellen Töne seien aber nicht heiter, sondern ernsthaft fröhlich.
Foto: Hermann Nitsch / Manfred Thumberger

Als zentrales Element fügen sich ebendort liegende Schüttbilder zu einem Farbenteppich zusammen. Flankiert wird dieser von akkurat gestapelten Taschentüchern und aufgereihten Zuckerwürfeln. Wagt man, nach der Bedeutung der Gegenstände zu fragen, bekommt man prompt eine Antwort: "Nichts hier ist Symbol. Alles ist, was es ist."

Obwohl die hellen Farbtöne dazu verleiten, an eine neue Schaffensperiode zu denken, lehnt der Künstler diese Zuordnung vehement ab. Vielmehr sei es eine konsequente Weiterentwicklung seines Werks, das fast organisch gewachsen scheint. Dabei entwickelt seine Malerei eine zunehmend harmonische Sprache – wenn auch nicht im Sinne einer Heiterkeit! Eher sei es eine "ernste Fröhlichkeit", schmunzelt Nitsch.

Auch in seiner Musik weicht nach und nach der lärmende Exzess der Harmonie. In einer Installation, die sich in der Kapelle vor dem Museum befindet, visualisieren sich diese Sinfonien zu beweglichen Bildern.

So rückt der "Farbklang" zunehmend ins Zentrum des Werks – und scheint als Begriff dafür abschließend bezeichnend zu sein. Alles, was der Aktionsmeister tue, ebne den Weg für sein großes Gesamtkunstwerk: das sechs Tage andauernde Orgien Mysterien Theater, das 2021 in Prinzendorf stattfinden soll.

Der neue Zyklus bereite darauf vor, solange bis die "Malerei die Wirklichkeit erreicht."(Katharina Rustler, 18.7.2020)