Steigende Kapitalerfordernisse sollen die Commerzialbank schon vor langer Zeit in Schieflage gebracht haben.

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Wien – Freitagnachmittag ging es in der Causa Commerzialbank Mattersburg Schlag auf Schlag. Um 17 Uhr begannen die Ermittler von der Wirtschafts- und Korruptionsstaatsanwaltschaft (WKStA) und Polizisten die Hausdurchsuchungen in der Bank, in Filialen und bei involvieren Personen. Zudem wurden der Gründer und langjährige Bankchef Martin Pucher und eine Mitarbeiterin einvernommen – Pucher wegen seines schlechten Gesundheitszustands daheim. Die Befragungen dauerten bis nach Mitternacht.

Am Dienstag zuvor hatte die Finanzmarktaufsicht FMA das Institut nach einer Vor-Ort-Prüfung zugedreht und einen Regierungskommissär eingesetzt. Es hatte sich herausgestellt, dass hunderte in der Bilanz ausgewiesene Millionen Euro fehlen, rund die Hälfte der Bilanzsumme von 800 Mio. Euro. Der Weg dorthin: erfundene Einlagen bei anderen Bankinstituten und fingierte Kredite. Beschuldigt sind Pucher und eine Bankerin, es gilt die Unschuldsvermutung.

Pucher nimmt Verantwortung auf sich

Pucher, der vorige Woche auch als Präsident des Fußball-Bundesligavereins SV Mattersburg (SVM) zurückgetreten ist, nimmt die Verantwortung auf sich, via seinem Rechtsanwalt Norbert Wess ließ er ausrichten, es sei unmöglich in Worte zu fassen, wie sehr er die Vorkommnisse bedaure. Er werde umfassend an der Aufklärung mitarbeiten. Laut "Kurier" wurden Pucher und seine Familie aufgrund "gewisser Drohungen" unter Polizeischutz gestellt. Apropos Fußballverein: Am Sonntag hat auch dessen Erster Vizepräsident, Richard Woschitz, seinen Hut genommen. Er war erst seite Ende Februar im Amt gewesen, fühlt sich "persönlich" enttäuscht und vermisst die ordnungsgemäße Übergabe des SVM.

Laut STANDARD-Informationen laufen die Malversationen in der Bank schon wesentlich länger als bisher bekannt – weit mehr als zehn Jahre. Pucher löste die Bank 1995 aus dem Raiffeisen-Sektor heraus, hatte dort bereits in Raiffeisen-Zeiten zu arbeiten begonnen, wurde Filialleiter in Mattersburg. Als solcher gründete er dann die Commerzialbank, die mehrheitlich einer Genossenschaft gehört.

Fiktion statt Eigenkapital

Immer mehr aber dürften die steigenden Kapitalerfordernisse Bank und Banker überfordert haben, die Bilanzlückenfüllungen begannen. Was aufs vorgeschriebene Eigenkapital fehlte, wurde erfunden. Immer größer wurden die Löcher, immer ärger wurde die Schieflage. Angeblich wies Pucher eine Mitarbeiterin an, Fälschungen vorzunehmen; das dürfte zuletzt eine tagesfüllende Tätigkeit gewesen sein.

Zentrales Hilfsmittel waren erfundene Einlagen bei anderen Instituten, die Saldenbestätigungen wurden gefälscht. Zuletzt hatte die kleine Commerzialbank so bei fünf Großbanken jeweils 40 bis 65 Mio. Euro liegen. Tatsächlich sollen die echten Einlagen einmal 300.000 und einmal 100.000 Euro betragen haben.

Wirtschaftsprüfer sieht sich als Opfer

Der Aufsichtsrat soll nichts von alledem gewusst haben, die Rolle von Wirtschaftsprüfer TPA wird hinterfragt. Die TPA prüft die Bilanzen des Instituts bereits seit dem Jahr 2006 und meinte vorige Woche, sie sei Opfer, ihr "Vertrauen in die Korrektheit der zur Verfügung gestellten Unterlagen" missbraucht worden.

Der Wirtschaftsprüfer muss derartige Saldenbestätigungen aber bei den jeweiligen Banken selbst einholen, bei der Commerzialbank lief es anders: Die Burgenländer schickten die (meist gefakten) Bestätigungen auf Briefpapier oder in den Kuverts der jeweiligen Bank an die TPA. Die sagt, sie habe stets korrekt gearbeitet. Die Bankenaufseher haben dann im Rahmen der Vor-Ort-Prüfung bei den betroffenen Instituten nachgefragt, ob es die Commerzialbank-Millionen bei ihnen gebe; die Auskunft lautete (in den allermeisten Fällen eben): nein.

Kredite für Fußball-Sponsoring?

Zudem wurden Kredite fingiert, um Zinseinnahmen zu verbuchen zu können, bei existenten Krediten wurden die Zinsen auf bis zu 20 Prozent hochgeschraubt. Die WKStA geht nun freilich auch dem Verdacht nach, die Banker hätten – mangels Bonität oder ohne Bonitätsnachweise und daher ungerechtfertigterweise – Kredite an Kunden vergeben, die das Geld dann als Sponsoring an den SV Mattersburg weitergeleitet haben.

Und die Behörde ermittelt auch nicht erst seit dieser Woche, sondern schon länger – was daran liegen könnte, dass sich im Februar 2020 ein Whistleblower gemeldet hatte, der auf seltsame Kredite aufmerksam machte. Damals war bei der Aufsicht angeblich bereits eine neuerliche Prüfung der Commerzialbank geplant gewesen, die Anfang März losging und nach dem Corona-Lockdown im Juli fortgesetzt wurde. – mit dem bekannten Ergebnis.

Insolvenz steht bevor

Bei den Vor-Ort-Prüfungen 2015 und 2017 waren, wie berichtet, andere Schwerpunkte gesetzt worden, die festgestellten Mängel wurden in der Folge saniert. Das wird jetzt nicht mehr möglich sein. Die Insolvenz dürfte dieser Tage angemeldet werden. (Renate Graber, 19.7.2020)